Die neue Nüchternheit

Torlos I: Beim ereignisarmen Revierderby zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund liefernvor allem die Nationalstürmer Kevin Kuranyi und Gerald Asamoah äußerst dürftige Auftritte ab

AUF SCHALKE DANIEL THEWELEIT

Es gab diesen Moment, da zündete so etwas wie ein Derbyfunke. Als Lincoln nach fünfzehn Minuten einen Freistoß schoss, den Roman Weidenfeller mit Mühe an die Latte lenkte, und Christian Poulsen den nachfassenden Torhüter dann übel anrempelte, da schrien die Menschen. Weil der Freistoß so gut war, weil Weidenfeller ihn so toll gehalten hatte, weil Poulsen rempelte und überhaupt, weil es ja etwas Schönes ist, wenn so ein Fußballspiel eine höhere Intensität entwickelt als eine x-beliebige Partie gegen Arminia Bielefeld. Doch diese Szene blieb der aufregendste Moment. Am Ende stand es 0:0 und die Beteiligten begannen ein Duell, das den Titel „Wer ist der nüchternste Analytiker?“ verdient gehabt hätte.

„Insgesamt haben wir zu wenig Torchancen gehabt. Dass wir aber kein Gegentor bekommen haben, ist erfreulich“, sagte Schalkes Trainer Mirko Slomka, und Bert van Marwijk ergänzte: „In der ersten Hälfte gab es Phasen, da war Schalke eindeutig überlegen, aber in der zweiten Halbzeit waren wir spielerisch besser.“ All dies waren exakte Beobachtungen, die Blutbahnen waren nach Abpfiff vollkommen frei von Stoffen, die den nüchternen Blick trüben. Noch nicht einmal ein verweigerter Elfmeter, den die Dortmunder kurz vor der Halbzeit nach einem Foul von Mladen Krstajic an Salvatore Gambino hätten erhalten müssen, emotionalisierte die Plauderei nach dem Abpfiff.

Vielleicht ist diese Verbannung des Emotionalen aus dem Katakomben der Arena die Essenz der Schalker Veränderungen dieses Winters. Frank Rost, ein zuverlässiger Lieferant kerniger Statements, ging festen Schrittes durch die Mixed-Zone, alle Fragesteller prallten an im ab. Und Rudi Assauer sitzt nicht mehr auf dem Podium der Schalker Pressekonferenzen. Stattdessen bemühte sich Neu-Manager Andreas Müller um Erklärungen für den schwachen Auftritt: „Die Mannschaft sollte in vielen Situationen gelassener sein“, forderte er und gab zu, dass ihn die Leistung in der zweiten Halbzeit etwas „ratlos“ mache.

Diese war im Grunde frei von jeglicher Torgefahr. Besonders die beiden Nationalstürmer Kevin Kuranyi und der nach rund einer Stunde eingewechselte Gerald Asamoah präsentierten sich in einer fast schon bemitleidenswerten Verfassung. Wie ein dunkles Gewitter, das in Kürze Auszubrechen droht, verdichtete sich an diesem Nachmittag daher die Ahnung, dass das Personalroulette des Winters keinerlei fußballerischen Fortschritt produziert. „Wir haben in der Vorbereitung gezielt daran gearbeitet, torgefährlicher zu werden“, erzählte Müller, ohne zu merken, dass er damit eine deutliche Kritik an seinem neuen Trainer formulierte.

Das Schalker Spiel ist einfach zu abhängig von Lincolns genialen Momenten. Diese blitzten zwar gelegentlich auf, doch am Ende fehlte stets die letzte Genauigkeit, die letzte Klarheit, was nicht zuletzt an der umsichtig von Klinsmann-Kandidat Christian Wörns organisierten BVB-Abwehr lag.„Wir sind wieder einen Schritt weiter gekommen“, lobte van Marwijk seine Defensive, und Weidenfeller kündigte an: „Da ist noch viel zu erwarten in den kommenden Wochen.“ Die Schalker wagten solch zuversichtliche Prognosen nicht. Ebbe Sand sagte: „Am Mittwoch in Mönchengladbach müssen wir unbedingt gewinnen, jetzt liegen wir sechs Punkte hinter dem dritten Platz, das war ein Schritt in die falsche Richtung.“