IN DER SPD GRASSIERT UNZUFRIEDENHEIT MIT DEM VORSITZENDEN PLATZECK
: Einmal Deichgraf reicht nicht

Zuckersüß die Verpackung, aber wie giftig der Inhalt dessen, was Berlins „Regierender“ Wowereit (SPD) am Wochenende über seinen Parteivorsitzenden mitzuteilen hatte: Er findet Platzeck „gut, sehr gut“, seine Kanzlerkandidatur sei „sehr naheliegend“. Dann aber: Der Vorsitzende muss das Profil der Partei „darstellen und schärfen“. Womit nichts anderes gesagt ist, als dass Platzeck sich bislang als schwacher Profilierer seiner selbst wie seiner Truppe erwiesen hat. Noch eins drauf: „Wir alle müssen unsere Standpunkte klarer herausarbeiten.“ „Wir“ will sagen: der Parteivorsitzende.

Folgt Wowereit, der Medien-Wellenreiter, nur dem üblichen publizistischen Manöver: erst pushen, dann stürzen? Keineswegs. Bei den Sozialdemokraten grassiert die Befürchtung, ihr Vorsitzender praktiziere nach innen wie außen eine weiche Konsenspolitik, erweise sich als schwach in der Kunst der Themenbesetzung und verfehle seine Rolle, gegenüber dem good guy Müntefering in der Koalition den bad guy als SPD-Parteivorsitzender zu spielen. Schon liest man den Vergleich mit Björn Engholm, dem ebenso schwachen wie glücklosen Vorsitzenden in den frühen 90er-Jahren, dessen einziger Halt in dem Pfeifenkopf bestand, den er stets mit fester Hand umklammerte.

Sicher, Platzecks Führungsstil frustriert viele SPD-Aktivisten, in deren Hoffnung auf den zupackenden Retter – einmal Deichgraf, immer Deichgraf – sich das alte sozialdemokratische Autoritätssyndrom verbirgt. Aber nicht diese Enttäuschung ist das Problem des Vorsitzenden. Ein demokratischer Arbeitsstil hätte nach den Exzessen der Schröder-Ära alle Aussicht auf Billigung. Aber Platzeck bietet, wo Einschätzungen vonnöten wären, nur aufmunternde Worte, er beschwört Werte, voran den der sozialen Gerechtigkeit, statt die Richtung vorzugeben. Wer kann etwa aus seiner Klage über Gefühlskälte im Kapitalismus eine Richtschnur zur europäischen Sozialpolitik herauslesen, der sich der SPD-Vorsitzende jetzt widmen will? Platzecks Problem ist doch: Er glaubt an seine eigenen Gemeinplätze und hält sie für Politik. CHRISTIAN SEMLER