Radikal subjektiv

THEMENABEND Arte blickt nach Südostasien – und findet die großartige Doku „Burma VJ“ (20.15 Uhr)

Birma, Burma, Myanmar. Vermutlich könnten nur wenige Schüler das Land auf der Karte finden, die uneinheitliche Benennung macht es nicht einfacher. Die Erdkundelehrer sollten ihre Video-, Festplatten- oder Sonstwasrekorder programmieren, wenn Arte dem südostasiatischen Land – seit einem halben Jahrhundert von einer Militärjunta drangsaliert – heute einen Themenabend widmet.

Der Film „Gefangen in Birma“ ist bemerkenswert solides journalistisches Handwerk, erzählt die Hintergründe, stellt dabei die ständig unter „Hausarrest“ stehende Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi in den Mittelpunkt. Allerdings stammt die Dokumentation von 2003, die „Safran-Revolution“ 2007 kann in ihr nicht vorkommen.

Von ihr handelt der andere, der erste Film des Abends: „Burma VJ“. Und er ist weit mehr als nur bemerkenswert. Auf einem von Suu Kyis Plakaten steht: „There will be change because all the military have are guns“. Die Gegner der Militärs haben Kameras, kleine Kameras: Camcorder und Handycams. Und wenn ausländische Journalisten nicht ins Land dürfen, werden sie bald zu den Augen und Ohren der Welt.

Wie im Juni 2009 im Iran haben im September 2007 in Birma Undercover-Videofilmer Leib und Leben riskiert, um die Demonstrationen zu dokumentieren. CNN, BBC, ARD und andere haben sich der Aufnahmen dankbar bedient. Der dänische Regisseur Anders Østergaard hat aus den Aufnahmen einen Dokumentarfilm – „Burma VJ“ – von 85 Minuten Länge montiert, der für den Oscar nominiert ist.

Es wackelt, pixelt und zoomt gewaltig. Die Perspektive ist radikal subjektiv, aus dem Off erzählt der VJ seine Geschichte: „Wenn ich die Kamera in die Hand nehme, zittern meine Hände vielleicht und ich habe womöglich sogar Herzklopfen – aber nach ein paar Aufnahmen ist alles wieder okay. Ich denke an nichts. Ich filme einfach drauflos.“ Journalistische Distanz bedeutet nichts, Unmittelbarkeit, Vereinnahmung ist hier alles. Seinen wahren Sog entwickelt der Film in seiner Mitte. Wo man sieht, wie zunächst kleine Demonstrantengruppen sich zu einer immer größeren Menge zusammenschließen. Wie die Menschen auf den Straßen und Dächern klatschen, lachen und sich an den Händen fassen. Wie sie ihre buddhistische Version einer Kampfparole rufen: „Versöhnung! Das ist unser Wunsch.“ Wie ein japanischer Journalist in den Kopf geschossen wird … JENS MÜLLER