Die kleine Wortkunde

Ein letztes Wort zu Helene „Axolotl Roadkill“ Hegemann, der vorgeworfen wird, sie würde plagiieren. Könnte auch sein, dass sie unter Kryptomnesie leidet.

Nein, natürlich hat das Wunderwaffenfräulein des deutschen Feuilletons „gesampelt“, „geremixt“, ein „Mash-up“ erstellt, „Intertextualität“ praktiziert oder, altmodisch ausgedrückt: abgeschrieben.

Trotzdem ein idealer Anlass, einmal die freundliche kleine Schwester des Plagiats vorzustellen, die weithin unbekannte Kryptomnesie. Der Begriff bezeichnet das Phänomen, dass sich ein Mensch irrtümlich für den Urheber eines Gedankens, eines Kunstwerks, einer Formulierung oder eines Gitarrenriffs hält. Weil er dem Original zum Zeitpunkt, als er es rezipierte, keine Bedeutung beigemessen hat, konnte es ins Unterbewusstsein absinken. Und von dort holt es der Mensch im Zustand erhöhter Kreativität wieder hervor, staunend über seine vermeintliche Originalität – weil er schlicht vergessen hat, dass seine Idee keineswegs auf seinem eigenen Mist gewachsen ist. Von „außen“ freilich sieht Kryptomnesie immer wie ein Plagiat aus, und ein Nachweis ist in solchen Fällen lediglich ex negativo zu erbringen. Denn nur wer wirklich plagiiert, bemüht sich um Vertuschung.

ARNO FRANK