Quer zum scheußlichen Schick

BAR AUF ZEIT Die Bremer Überseestadt ist ein Erfolgsmodell. Schicke Wohnungen, ein Varieté-Theater, Bürogebäude – aber wo bleibt der Hafencharme? Das Golden City wagt eine kreative Intervention

Auch wenn die Kreativwirtschaft als Jobmotor gelobt, gefeiert und gefördert wird, hat sie in der Überseestadt nicht gerade den leichtesten Stand

VON ANDREAS SCHNELL

Wenn die Sonne untergeht, scheint sie derzeit direkt auf einen eigenartigen Kasten am Kopf des Europahafens, auf dessen Dach „Golden City“ steht. Rechts vom Hafenbecken diese scheußlich-schicken Neubauten mit scheußlich-schicken Cafés und Restaurants, Loftwohnungen und Büroetagen. „Golden City“ – das klingt nach weiter Welt, nach Glamour und Glanz, was nicht recht passen will zu dem architektonischen Stückwerk aus alten Fässern, ausrangierten Türen, Sperrholz und anderem Ausschuss.

Das haben sich die Kreativen selbst aufgebaut, um es mit Tocotronic zu formulieren. Dass die Golden City quer zu den parallelen Linien der Neubauten ebenso steht wie zu den Fugen im Pflaster, hat zwar eher technische Gründe, aber es passt auch ansonsten gut: Denn auch wenn die Kreativwirtschaft als Jobmotor derzeit gern gelobt, gefeiert und gefördert wird, hat sie in der Überseestadt nicht gerade den leichtesten Stand.

Aber: „Wir sind ein Beispiel dafür, dass man etwas machen kann“, sagt Frauke Wilhelm, die die Federführung des Projekts hat. Vor knapp zehn Jahren begann sich die Kulturwissenschaftlerin mit Walle zu beschäftigen, schon damals ging es um Kneipen, allerdings wollte sie zunächst den Wandel von der Dorf- zur Politkneipe erkunden, wie er sich beispielweise beim Hart Backbord vollzog. Bei ihren Recherchen fand sie allerdings heraus, dass die interessanteren Geschichten an der „Bremer Küste“ spielten, jener legendären Kneipen-Meile am Hafenrand, wo es bis in die späten sechziger Jahre hoch herging: „Die Taschen waren voller Geld“, der Titel ihres im letzten Jahr erschienenen Buchs, bringt es auf den Punkt. Mit dem Niedergang der Bremer Häfen ging es auch mit der Bremer Küste bergab – und ein Stück weit auch mit Walle und Gröpelingen. Aus den einstigen Arbeiterquartieren wurden „soziale Brennpunkte“. Die Überseestadt hingegen steht mehr und mehr für Wirtschaftswachstum und teures Wohnen – und natürlich ist sie auch genau dafür da.

Frauke Wilhelm und ihr über die Jahre gewachsenes Team wollen dem nun etwas entgegensetzen. Ein bisschen altes Flair, oder auch, wie Wilhelm es nennt: „Titten, Tresen, Temperamente.“ Nachdem die Golden-City-Crew im September 2011 die alte Rotlichtkneipe „Krokodil“ für 72 Stunden bespielte, stand das nächste Etappenziel fest: die eigene Kneipe. Wo damals das echte „Golden City“ stand, geht das heute nicht mehr, dort fahren heute auf zwei Spuren die Autos stadtauswärts. Dass es nun endlich soweit ist, kann Frauke Wilhelm immer noch kaum glauben. „Ein Wust von Bürokratie“ sei nötig gewesen, um das Projekt umzusetzen. Und natürlich sieht das Resultat nicht nur etwas wackelig aus, es steht auch auf noch wackligeren finanziellen Beinen, auch wenn sich eine Vielzahl von Sponsoren beteiligt. „Wir müssen immer noch sehr viele Einnahmen machen“, sagt Wilhelm.

Privates Kleinsponsoring soll helfen: „Ich leere meine Taschen für’s Golden City“ ist der Name eines Fotoprojekts, am 22. Juni geht es ums Kraut-Funding, mit Sauerkraut, Würstchen und Kartoffelbrei. Und nicht zuletzt soll die „Tu’s mit Liebe“-Show Publikum locken, ein Theaterstück, das Hans König der bunt zusammengewürfelten Truppe auf den Leib geschrieben hat und das vom „Auf und Ab einer kreativen Wirtschaft“ erzählt, wie Frauke Wilhelm erklärt. Denn auch wenn das Golden City genau das ist, eine kreative Wirtschaft nämlich, und mit Mitteln für die Förderung der Kreativwirtschaft teilfinanziert wurde, gibt es bei den Macherinnen und Machern doch eine gesunde Skepsis gegenüber dem Rummel um die freaky funky Kreativwirtschaft.

In der knapp zweistündigen „Tu’s mit Liebe“-Show gibt es neben den schon von Ramona und den Ariolas und Golden-City-Hafenrundfahrten bekannten Elementen klug gesetzte Spitzen: Die Kreativberater kommen erst, wenn du deine Idee schon hast, um sie dir dann zu verkaufen. Ein Kreativcoach, als „Joschka Fischer der Kreativwirtschaft“ tituliert, wird zitiert: „Sack zu, melk die Kuh!“ Der Appell ans Unternehmerische im Kreativen formuliert schließlich schon einen Gegensatz. Und zu wessen Lasten der in der Praxis einer Marktwirtschaft aufgelöst wird, lässt sich recht leicht vorhersagen. Oder, um es mit Frauke Wilhelm zu sagen: „Macht die Künstler nicht zu Unternehmern – da geht viel verloren.“

Auch, um diesem Gedanken ganz buchstäblich Raum zu geben, sei dem Golden City der nötige wirtschaftliche Erfolg gegönnt.

■ Eröffnung: Samstag, 18.30 Uhr, Premiere der „Tu’s mit Liebe“-Show: 20 Uhr, Golden City, Europahafen