„Ich mag Kämpfe gegen die Dame“

RINGEN Sein Vater war einer der besten Ringer seiner Zeit, aber das ist nicht die Hypothek, die Marcel Barthel abtragen muss. Sondern der Ruf eines Sports, der schon lange auf den Hund gekommen ist

■ 22, trägt als Kämpfer den Namen Axel Dieter junior – in Reverenz an seinen Vater Axel Dieter senior, der fünfmal Weltcupsieger war. Er ringt seit neun Jahren, seit 2008 ist er Profi. Er ist nordeuropäischer Meister im Berufsringkampf und trainiert beim Nordischen Fightclub in Hamburg.

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Sie sagen: „Wrestling ist wie Schach“. Die meisten Nicht-Wrestler würde das überraschen, Herr Barthel.

Marcel Barthel: Das glaube ich. Schach ist etwas, was man nicht unbedingt mit Ringkampf vergleichen würde. Aber faktisch gesehen ist es eine sehr strategische Geschichte. Die ersten Minuten sind eine reine Abtastphase. Da werden ganz oft engere holes angesetzt …

holes?

Das sind Griffe, um zu sehen, was für ein Typ der Gegner ist. Ich müsste mich ganz anders vorbereiten auf einen Kampf gegen meinen Trainer, der sehr stark aber auch technisch versiert ist, als gegen den 180-Kilo-Mann hier im Verein, der einfach brachiale Kraft hat. Da schlage ich eher einfach, wie ein Bauer, der immer nur links und rechts schlagen kann, das heißt, bei einem Dicken immer auf die Beine, während ich gegen meinen Trainer eher kämpfen würde wie eine Dame gegen eine Dame, also auf höherem technischen Level.

Was macht die Ringer-Dame?

Man muss unterscheiden zwischen den Highflyern, die vor allem spektakuläre Sachen machen, dann gibt es die Techniker, zu denen ich eher zähle. Ich versuche meist, den Kampf früh auf den Boden zu bringen, weil ich gegen viele Gegner im Stand, wo es auf Masse, Zug und Druckkraft ankommt, den Kürzeren ziehe. Ich persönlich mag Kämpfe gegen die Dame lieber, weil es für den Fan schöner anzusehen ist. Und ich kriege nicht ganz so viel auf den Kopf.

Ich hätte gedacht, als Ringer ist man klein, kompakt, im weitesten Sinn bullig. Sie sind weder das eine noch das andere.

Ich habe eigentlich einen relativ ungünstigen Körper für Ringkampf, weil ich lang bin und einen langen Hals habe, wo man sehr gut greifen kann. Es ist für einen Kleineren immer leichter, mich zu reißen als andersrum. Andererseits ist es so, dass beim Ringkampf auch andere Werte zählen, zum Beispiel Charisma.

Es ist ein sehr körpernaher, nahezu intimer Sport. Kostet Sie das Überwindung?

Weil ich mit Boxen angefangen habe, habe ich das gegenüber Blut und Schweiß von anderen Leuten früh abgelegt. Bei 80 Prozent der Leute, mit denen ich im Ring bin, würde ich allerdings nicht gern im Privaten Körperkontakt haben.

Können Sie das Befremden der Leute nachvollziehen?

Das Problem ist Amerika. Wenn ich Wrestling als Schlagwort eingebe, werden mir 99 Prozent der Leute sagen: Das ist doch Show. Und wenn ich frage: Was meint Ihr mit Show, dann sagen sie: „Dass die Kämpfe abgesprochen sind.“ Das ist aber Schiebung.

Aber ein bisschen Show gehört doch dazu?

Natürlich ist es Show. Natürlich komme ich rein mit meiner Musik und Interaktion mit den Leuten. Aber es ist keine Schiebung, keine Verfälschung des sportlichen Wettbewerbs. Wenn die Leute dann in der ersten Reihe sitzen und hören, wie die Ringer hinknallen, dann sagen sie: Das hätte ich nie gedacht. Aber sie kennen nichts anderes als das Wrestling aus dem amerikanischen Fernsehen.

Bei Ihnen lag es in der Familie. Ihr Vater war der einzige Ringer, der fünfmal den Weltcup gewonnen hat.

Mein Vater ist Jahrgang 1933, hat 1955 angefangen, zu ringen und es 33 Jahre gemacht. Als ich es wirklich mitbekommen habe, war er nicht mehr aktiver Ringer, sondern Veranstalter, manchmal Ringrichter, manchmal Zeitnehmer, also saß einfach am Tisch als Legende dabei. Er war fünf Mal verheiratet, weil es für ihn nur Ringkampf gab.

Das könnte einen als Kind auch abschrecken.

Mein Papa hat mich früh mitgenommen, das war großartig für mich. Alle Kids warten vor der Garderobe, ich gehe einfach nach oben zu den Jungs und hole mir die Autogramme. Hulk Hogan war mein Hero. Der war nie ein guter Wrestler, aber er war der größte Star, den es gab. Mit vier, fünf Jahren habe ich mir die Tapes mit meinem Vater angeguckt. Dann habe ich mit Boxen angefangen, ich war nach einem Jahr schon norddeutscher Meister, aber es war nie wie Ringen. Ich habe nur geboxt, weil es keinen Ringerverein gab. Mein Vater hat immer die Gelben Seiten durchgeblättert, ob es endlich einen Ringerverein gab. Und dann haben wir irgendwann einen Verein in Hannover gefunden.

Haben Sie auch mit Ihrem Vater gerungen?

Mein Papa hat mich die ersten Male richtig geschleudert. Ringkampf ist ein sehr hierarchischer Sport und man muss von Anfang an genau wissen, wie man sich verhält. Wenn wir hier eine Veranstaltung haben und ein Profi kommt, der schon länger dabei ist als ich, stehe ich auf und biete ihm meinen Platz an.

Ist die Ausbildung als Bürokaufmann eine Vernunftsache, falls es mit dem Ringen nicht klappt?

Meine Mutter hat immer den Daumen drauf gehabt. Sie kennt sich aus, sie war 22 Jahre mit meinem Vater verheiratet. Ich habe jetzt schon ein paar Verletzungen hinter mir und weiß, wie schnell man ein paar Monate raus ist.

Hat Ihr Vater gut vom Ringen gelebt?

Wir haben letztens mal aufgezählt was für Autos er hatte, das war seine große Leidenschaft. Er hat über 100 Autos gekauft, hatte vier Porsches, ist Rolls Royce gefahren, er hatte Unmengen an Geld. Es waren ja damals 80-Tage-Turniere und in der Zeit hat er 500 Mark pro Abend verdient, egal ob er kämpfte oder nicht.

Wie ist es für Sie, dass Ihr Vater körperlich hinfällig wird?

Ich bin damit aufgewachsen, dass ich schon als kleiner Junge schneller laufen konnte als mein Papa. Er hatte schon damals zwei künstliche Hüftgelenke. Das ging zu seiner Zeit eine ganze Ecke härter zu. Die Jungs hätten auch auf Beton kämpfen können, unter dem Ring waren nur Holzplatten, heute gibt es Federn. Bei uns haben wir Sanitäter, das gab es damals alles nicht. Wenn sich jemand den Kehlkopf gebrochen hat, ist er gestorben, wenn nicht jemand einen Luftröhrenschnitt gemacht hat. Es ist eines der ersten Dinge, die ein Catcher lernt, Tracheotomie.

Neben der Medizin haben Sie auch Ausflüge ins Theater gemacht. Wie kam es dazu?

Über meinen Trainer und die Regisseurin Yolanda Gutierrez. Wir haben ein Projekt gehabt, das hieß „Superhero“, eine Symbiose aus Ringkampf und Tanzen. Viele Dinge, die Tänzer machen, um ihren Körper zu fühlen, sind überhaupt nicht unser Ding. Die gehen ganz weich mit ihrem Körper um, massieren sich viel.

Dabei ist der Körper auch Ihr Werkzeug.

Natürlich wärmen wir uns auch auf, aber ich könnte mir nicht vorstellen, dass Ringer in einem Kreis sitzen und sich gegenseitig massieren.

Fühlten Sie sich in diesem Umfeld exotisch?

Für mich waren eher die anderen Exoten. Ich habe mich als 08/15 gesehen und die eher künstlerisch angehaucht, ein bisschen flippig.

Aber ein Stück Inszenierung gibt es im Ringen genauso wie beim Tanz.

Sicher, auch im seriösen ehrlichen Ringkampf ist vieles Show. Durch die sportlichen Sachen drücke ich ja auch aus, wer ich bin. Wenn mein Trainer jemanden sicher im Griff hat, dann fragt er das Publikum: Jetzt noch mal? Die Leute ergreifen immer Partei für jemanden, man hat den Bösen und den Guten.

Sind Sie der Gute?

Wenn ich rauskomme und die Fans buhen mich aus, versuche ich nicht partout: Bitte bejubelt mich doch. Wenn ich nach Dänemark komme, bin ich der Böse. Ich komme aus Deutschland, ich sehe für die aus wie ein Deutscher, so ist es nun mal.

Gibt es dann Momente, in denen man denkt: Könnten die Fans nicht wegkommen von diesem Gut-Böse-Schema?

Viele Leute können da ihre Emotionen rauslassen. Ich habe Leute gehabt, die hinterher bei der Halle auf mich gewartet haben und mich verprügeln wollten.

Das sehen Sie so abgeklärt?

Muss man. Wenn die Leute mal drei Stunden in einer ganz anderen Welt sind und nicht an die Rechnungen draußen denken, dann ist das für mich eine Genugtuung. Ich vergesse das, sobald ich im Ring bin. Man braucht diesen Killer-Instinkt, das war eine der ersten Sachen, die mir mein Vater gesagt hat. Ich will niemanden absichtlich kaputtmachen, aber ich will ihn so weit verletzen, dass ich gewinne.