Es lag was in der Luft

AUFSTAND Vor 60 Jahren wackelte für wenige Tage die Macht der SED: Arbeiter und Bauern rebellierten. Und noch sind nicht alle Geschichten des 17. Juni 1953 erzählt

VON SUSANNE MESSMER

Nicht viele Ereignisse in der kurzen Geschichte der DDR sind so gut erforscht und beschrieben wie der Volksaufstand am 17. Juni 1953, als in der ganzen ostdeutschen Republik mehr als eine Million Menschen auf die Straße gingen und es für einen Moment danach aussah, als könne das Ende der DDR besiegelt sein. Doch nach wie vor gibt es Geschichten, die noch nicht erzählt wurden.

So wie die von den drei Bauern einer LPG in Marzahn. An jenem 17. Juni fuhren sie mit einem Pferdefuhrwerk durch die Stadt, um Ersatzteile zu sammeln. Gegen Mittag wurden sie vor dem Zeughaus vom Demonstrationszug eingeholt. Sie waren also unfreiwillig mittendrin. Dann kam das Gerücht auf, ein sowjetischer Panzer habe einen Demonstranten überfahren. Die Bauern sprangen vom Fuhrwerk, stoppten einen Parteiwagen, kippten ihn um und ließen ihre Wut ab. Auf der Rückfahrt hielten sie noch einen Genossen an und nötigten ihn, sein Parteiabzeichen abzunehmen – die SED habe ja ausgedient. Als am nächsten Tag zwei der Bauern von der Staatssicherheit verhaftet wurden, kam heraus: Der dritte hatte sie verpfiffen.

Eine andere kaum bekannte Tatsache: Nach dem 17. Juni riegelten Volkspolizisten fast eine Woche lang die Grenze zwischen dem Ost- und den Westsektoren Berlins ab. Dadurch geriet nicht nur die Müllabfuhr in der ganzen Stadt ins Stocken. Vor allem konnten 30.000 Ostberliner, die im Westteil arbeiteten, nicht nach Hause. An den Grenzen spielten sich absurde Szenen ab. Der Übergang in Staaken wurde geschlossen, die Arbeiter mussten zu Tausenden vom dortigen Bahnhof zur zwei Kilometer entfernten Heerstraße laufen. Andere schwammen in Johannisthal durch den Teltowkanal, um zur Arbeit zu gelangen.

Die Wut auf den Dörfern

Jenseits dieser eher anekdotischen Begebenheiten gibt es aber auch weniger gut beleuchtete Aspekte des 17. Juni. Darunter die Tatsache, dass der Aufstand nicht am 16. oder 17. Juni begann, sondern bereits am 12. Juni, in den Dörfern. Die Bauern waren von der rigiden SED-Politik mit am stärksten betroffen, sie empfanden die Kollektivierung als Angriff auf ihre Existenz. Entsprechend groß war ihre Wut, die sich auch nicht so schnell befrieden ließ wie die der Arbeiter.

Ebenfalls weniger bekannt ist, wie die städtischen Rebellen zur Räson gebracht wurden. Es gab Haft- und Todesstrafen, aber die SED beschloss auch, das Ministerium für Staatssicherheit massiv auszubauen. Unter den 2.000 Gefangenen, die in einem improvisierten Haftlager in Marzahn interniert wurden, waren etliche, die sich auf die stillschweigende Zusammenarbeit mit der Stasi einlassen mussten, wollten sie ihre Freiheit wiedererlangen.

■ Die hier erwähnten Anekdoten vom 17. Juni sind Jens Schönes Buch „Volksaufstand. Der 17. Juni in Berlin und der DDR“ entnommen

Mehr zu den aufmüpfigen Bauern und zur zweiten Geburtsstunde der Stasi sowie einem Treffen mit einem Zeitzeugen auf Seite 44 und 45