Leidenschaft und Hysterie

Im Stil historischer Fotografien: Eine präzise, mit Leidenschaft aufgeladene Ausstellung der australischen Künstlerin Tracey Moffat. Präsentiert im Ausstellungsraum Van Horn in Düsseldorf

AUS DÜSSELDORFKATJA BEHRENS

Donald Judds Chinati Foundation im texanischen Marfa, wo der amerikanische Künstler einen „idealen Ort für die Kunst verwirklicht“ hat, stand Pate für das Projekt des Kunst- und Ausstellungsraums Van Horn. Innerhalb nur eines Jahres hat die Künstlerin Daniela Steinfeld mit ihrem Raum in Düsseldorf ein vielbeachtetes Forum für Austausch und Diskussion, für Kommunikation und Rezeption von Kunst etabliert. Im Gespräch mit den Künstlern der Galerie und internationalen Gästen, in der Auseinandersetzung mit aktuellen wie historischen Positionen, mit thematischen Ausstellungen und Veranstaltungen erfüllt sich die Idee eines „Salon des 21. Jahrhunderts“. Die beiden Arbeiten von Tracey Moffat, die hier zu sehen sind, reihen sich in das kuratorische Konzept ein, das alle Veranstaltungen locker zusammenbindet: Jede Arbeit ist „wie eine Antwort oder ein Echo auf die anderen vertretenen Arbeiten“.

Die Realität, die die australische Foto- und Filmkünstlerin mit ihrer Fotogravüre-Arbeit „Laudanum“ schafft, ist die gern verdrängte, in vielen Romanen bearbeitete Wirklichkeit existentieller weiblicher Befindlichkeiten in der verklemmten bigotten Gesellschaft der vorletzten Jahrhundertwende. Die rätselhaften Bilder der 19-teiligen Serie, die im Stil historischer Fotografien von Sexualität und Machthierarchien, von Gewalt und Passion auf der Folie des großbürgerlich-kolonialen Fin-de-siècle erzählen, besitzen eine morbide und erschreckende Faszination. Neurosen und Leidenschaften, Sehnsüchte, Gewalt, Obsessionen werden vor uns ausgebreitet, das es eine wahre Freude ist. Das Rauschmittel Laudanum, eine Opiumtinktur, war in jenen Tagen eine weitverbreitete Droge, die Hysterie ein Ventil weiblicher Welt- und Wirklichkeitsbewältigung.

Für Tracey Moffat, die als Halbaborigine bei weißen Adoptiveltern im Arbeitermilieu aufwuchs, waren Film und Fotografie früh Mittel, sich mit ihrer ethnischen Herkunft auseinander zu setzen und gleichzeitig historische Realität zu reflektieren. Die australische Assimilationspolitik der Zwangsadoption von Kindern der Ureinwohner, die Geschichte der Aborigines und der Kolonialisierung Australiens fließen in den surrealen, emotional aufgeladenen Bildern ihrer frühen Foto- und Filmarbeiten mit dokumentarischem Material oder Spielfilmsequenzen zusammen. Verstörende Traumbilder verbinden sich mit historischen oder modernen Motiven zu dichtgedrängten Handlungen, wirklich und fiktiv zugleich, visuell erfüllt, aber nie restlos zu verstehen.

In der Serie „Laudanum“, wie in all ihren anderen Werken auch, wird in der Abfolge der Bilder zwar eine Erzählung angedeutet, der rote Faden eines stringenten Handlungsablaufs hingegen reißt immer wieder ab: Die Narration verliert sich in Andeutungen, Wiederholungen und eindringlichen Bildern. Wie Filmstills wirken die gestellten und sorgsam inszenierten Fotografien. Sie suggerieren einen narrativen Zusammenhang, der sich letztlich doch immer nur partiell herstellen lässt. Man erkennt die Geschichte einer weißen Herrin und ihrer Dienerin, die sich mit leidenschaftlicher Hingabe gegenseitig quälen und unterwerfen, ihr sado-masochistisches Verhältnis hysterisch und erotisch ausagieren, bis am Ende die halb entkleidete Herrin die Treppe hinaufkriecht, die sie anfangs so gebieterisch herabgeschritten kam. Das Haareschneiden etwa wird als ein Akt der Gewalt und Unterwerfung erschreckend plausibel, die Themen Liebe und Sexualität, Leben und Tod schwingen auch hier mit. Ganz ähnlich und doch auch sehr anders ist die Videoarbeit „Love“ (2003) eine Art cinematographische Collage, in der geradezu obsessiv filmische Höhe- oder Wendepunkte, eruptive Konfliktlösungen aneinander gereiht werden und zu einer Endlosschleife montiert sind. Die Beziehung zwischen Mann und Frau wird anhand unzähliger, sich inhaltlich ständig wiederholender Gewaltszenen auf wenige Motive reduziert: In sehr kurzen Sequenzen beschimpfen sich die Paare, demütigen sich, schlagen sich, trennen sich und schließlich töten die Frauen ihre Männer – bevor der jugendliche John Travolta mit seiner Liebsten am Strand den Topos romantischer Liebe erneut beschwört.

Bis 31. März 2006Van Horn, Düsseldorfwww.van-horn.net