UNGESUNDE GEWOHNHEITEN UND DER GERUCH DER DDR
: Keine Lust, noch zu trinken

VON DETLEF KUHLBRODT

Das Wochenende hatte wohl schon am Mittwoch begonnen, bei der Veranstaltung im Roten Salon zu Ehren von Friedrich Kittler, der an diesem Tag siebzig geworden wäre: Als man andächtig die Stimme des vor zwei Jahren gestorbenen „Dichtungswissenschaftlers“ hörte, wie er auf Griechisch so halb sang. Als Peter Weibel aus Karlsruhe per Skype zugeschaltet war, vom Urknall und abstoßenden Gravitationen erzählte und erklärte, „Musik ist nur ein Missverständnis des Gehirns“.

Die neue Ausgabe der Zeitschrift Tumulte – Thema: „Friedrich Kittler. Technik oder Kunst?“ – war jedenfalls vorgestellt worden und in der Pause standen wir draußen. Jürgen Kuttner rauchte statt der gewohnten E-Zigaretten eine echte Zigarette. Ein Ghettoblaster stand am Rand und im Ghettoblaster war die Stimme Kittlers und sprach noch einmal über das Rauchen, während wir rauchten, und darüber, dass auch ungesunde Gewohnheiten Kultur bilden.

Dann musste ich leider schon wieder weg. Der Billardsalon, in dem ich mit den Freunden seit fünf Jahren an jedem Mittwoch spiele, wird nämlich wohl schon Mitte Juli geschlossen. Danach hat sich’s dann mit Billardspielen. Es war eine großartige Nacht! Der Donnerstag verkatert und bewölkt im Kopf. Es wird ja nicht nur das Billardspielen fehlen, wenn der Salon nur noch als Erinnerung in unseren Köpfen wohnt, sondern auch die tollen Leute, die hinter dem Tresen arbeiten.

So woodstockmäßig

Am frühen Abend des nächsten Tages fahre ich in die Sonnenallee. Die Berliner Mietergemeinschaft hat Hausbesetzer-Plakate und Flugblätter aus den 70ern und 80ern ausgestellt. Alles ist sehr relaxed. Irgendwie hatte ich auch ganz vergessen, dass das ja doch schon 30 Jahre her ist. Wieder zu Hause, kann ich mich nicht von den Livestreams aus Istanbul losreißen. Von dem Pianisten vom Taksim-Platz, alles wirkt so woodstockmäßig. Ich bin ganz begeistert, nur manchmal irritiert, weil alle Streams Werbung für alles Mögliche geschaltet haben – und am nächsten Morgen geflasht, weil der Pianist immer noch spielt. Jemand korrigiert mich auf Facebook – er spielt nicht noch immer, sondern schon wieder. Stundenlang sitze ich vor dem Laptop.

Und komme mir am Abend in der Greifswalder Straße, in der „Staatsgalerie Prenzlauer Berg“, etwas komisch vor. Ich hatte mich schon ein paar Wochen auf die Lesung von Ann Cotten gefreut. Nun bin ich da und habe das Gefühl, doch nicht ganz da zu sein, weil ich zu lange Internet geguckt hatte. Wir trinken draußen noch ein Bier, reden irgendwas. Eigentlich weiß ich nicht so genau, was ich reden soll. Hier in Prenzlauer Berg ist es ja auch ganz anders als in Kreuzberg. Es gibt Berge, weite Blicke, die Luft auch, die Menschen – man erinnert sich an die Zeit nach der Wende, als man oft im Literaturcafé Kiryl gewesen war.

An den Wänden hängen schöne, körpernahe Zeichnungen von Mareile Fellien. Das kleine, schön gestaltete Buch, aus dem Ann Cotten vorliest, heißt „Hauptwerk – Softsoftporn“. Der Fotograf neben mir will die drei Euro Eintritt nicht bezahlen. Er müsse gleich noch zu einem anderen Termin und würde deshalb sowieso nicht so lange bleiben. Fotografieren tut er aber trotzdem.

Es ist schön, Ann Cotten zuzuhören, gerade, weil sie nicht so schauspielermäßig liest. Weil sie manchmal Halbsätze hastig fast verschluckt, treten andere Worte dann wieder vor in ihrer Materialität. Alles ist ganz eigen, nach einer halben Stunde aber schon wieder vorbei.

Ich fahre wieder nach Haus, wegen Soziophobie oder weil ich keine Lust hab, noch zu trinken, im Kopf noch den Satz, den jemand vor der Galerie sagte: „Vergammelte Kartoffeln – das war der Geruch der DDR.“

Den Rest des Wochenendes beschäftige ich mich mit der Türkei. „Live“ am Laptop, live bei einer Diskussionsveranstaltung im Haus der Kulturen der Welt. Die Wechsel sind irritierend. Wenn man eben noch Demonstrierende im Internet begleitet hat und dann plötzlich in echt auf der Oranienstraße demonstriert. Am besten gefallen mir ein paar junge Türken mit Efes-Bier, die etwas skandieren, das ich nicht verstehe.