Rollatoren im Rollberg

FESTIVAL Bei der diesjährigen Ausgabe von 48 Stunden Neukölln stand besonders auch das Altern in der Stadt im Mittelpunkt

Nicht zu übersehen war die Schwierigkeit, das Altsein klischeefrei und nicht diskriminierend darzustellen

VON INGA BARTHELS

Eine weiße Picaldi-Hose, Turnschuhe, dazu ein T-Shirt mit der Aufschrift „Zu sexy für Arbeit“. Das Klischee eines Klischees, so sieht sie aus, die Frau auf dem Foto. Auch die Gestalten neben ihr tragen Sporthosen, auf ihren Köpfen haben sie umgedrehte Käppis auf. Stellen sich so die Alten die Jugend vor? Auf dem Foto nämlich tragen drei ältere Damen diese Straßenkluft, spielen dabei auf ihren Handys rum. Neben ihnen stehen zwei junge Männer in Blümchenkleidern, komplett mit Hut und Rollator ausgestattet.

In den Neukölln Arcarden war das Foto am Wochenende zu sehen, als Teil des Projekt „Alter Style“ der jungen Fotografen Nick Großmann und Caroline Bennewitz. Es ist auf den ersten Blick lustig, zeigt aber auch, wie schwer man sich im „Labor: Urbanes Altern“ insgesamt noch tat, Klischees und Vorurteile zu umgehen. Dabei war die Reihe großformatiger Fotos eines der Werke bei diesem Labor, die dem Altern viel Positives abgewinnen konnte. Für ihr Projekt arbeiteten die Fotografen mit Bewohnern von „Allein wohnen in Gemeinschaft“ (Al WiG) zusammen, einem Neuköllner Mietprojekt für SeniorInnen, in dem jeder allein und selbstbestimmt wohnen kann und dennoch nicht alleine alt werden muss. Großmann und Bennewitz befragten die zwölf Männer und Frauen zu ihrer Lebensrealität und inszenierten dann Fotoshootings mit ihnen, etwa beim Urban Gardening auf dem Tempelhofer Feld.

„Urbanes Altern“ war eine besondere Projektreihe im Rahmen von „48 Stunden Neukölln“, dem vom Verein Kulturnetzwerk Neukölln in Kooperation mit dem Kulturamt Neukölln organisierten Kunstfestival, dessen 15. Ausgabe am vergangenen Wochenende stattfand. 400 Veranstaltungen an 250 Orten in Nord-Neukölln gab es dieses Mal, weniger als noch zuletzt. Die Macher wollten Qualität vor Quantität setzen, erstmals war auch das Jahresthema, dieses Mal „Perspektivwechsel“, verbindlich für alle Beiträge. Einer dieser Perspektivwechsel war der Blick auf die Alten in Neukölln.

Damit reagierte das Festival auch auf Kritik, die immer wieder geäußert wurde. Kritik, dass Formate wie 48 Stunden und auch das weitere Neukölln-Festival „Nacht und Nebel“ sozial schwächere Bevölkerungsgruppen nicht miteinbeziehen. Diesen Vorwürfen versuchte 48 Stunden bereits in den letzten Jahren mit einem stets politischeren Programm vorzubeugen. Dieses Mal nahm man sich erstmals explizit der Gruppe 60 plus an, mit dem Ziel „die Präsenz alter Menschen im Festival und im öffentlichen Raum deutlich zu erhöhen“.

Das Ergebnis dieser Bemühungen war das „Labor: Urbanes Altern“, das das ganze Wochenende im ersten Stock der Neukölln Arcaden zu besichtigen war. In Installationen, Gemälden, Fotos, Performances und Hörspielen beschäftigten sich Künstler mit dem Älterwerden in der Stadt. Nicht zu übersehen war dabei die Schwierigkeit, das Altsein klischeefrei und nicht diskriminierend darzustellen.

Die Plattform alterweise.net etwa, die sich mit kommunikativen Problemen zwischen den Generationen beschäftigt, stellte einen „Alters-Simulations-Anzug“ aus. Dieser Anzug, auch „Zeitmaschine“ genannt, sollte jüngeren Besuchern einen Eindruck vermitteln, wie es ist, alt zu sein: ein Anzug mit Gewichten und Versteifungen an den Gelenken, dazu Klettverschlüsse in den dicken Handschuhen, um die Schmerzen von Arthritis zu simulieren, plus eine die Sicht verzerrende Taucherbrille und Hörschutz. Mit dem Anzug konnten die Besucher rumlaufen, um danach in ein Buch zu schreiben, wie es sich anfühlt, alt zu sein.

Bei der Performance „Supermensch“ des Theaterkollektivs Brand e. V. sollte das Älterwerden humorvoll, mit Comic-artigen Mitteln bildhaft gemacht werden, beschränkte sich dabei aber auch auf Aspekte wie Demenz und Arthritis.

Schiebt, Alte, schiebt!

Dass das nicht alles ist, was Altsein bedeutet, zeigten einige Aktionen, bei denen die SeniorInnen wirklich selbst aktiv waren. Etwa die Performance „Schiebt, Alte, schiebt!“ von Hülya Karci, die mit ihrer Seniorentheatergruppe Sultaninen durch die Karl-Marx-Straße zog. Fünf SeniorInnen mit Rollator führten dabei ein unsichtbares Theaterstück auf, um Reaktionen der Passanten zu provozieren. Am Samstag, dem Einkaufstag vieler, habe es einige böse Bemerkungen über die Langsamkeit der Gruppe gegeben, erzählte Karci beim Künstlergespräch. Am Sonntag wären die Leute schon viel entspannter gewesen und konnten besser mit dem Tempo der Alten umgehen.

Mehr Aktionen von Gruppen wie den Sultaninen oder den Bewohnern von Al WiG, die ihr eigenes Altsein mit Humor betrachten, wäre wünschenswert gewesen. Bei dem Künstlergespräch am Sonntag im Labor war auch einer der Bewohner von Al WiG anwesend. Als der sagte, dass der Rollberg ein idealer Platz zum Altwerden sei, gab es Gelächter und Applaus im Publikum. Ein Rentner, der glücklich in Neukölln lebt. Was es alles gibt.