LESERINNENBRIEFE
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Kranke pädagogische Konzepte

■ betr.: „Das Heim der gequälten Kinder“, taz vom 15./16. 6. 13

Jede Gesellschaftsform produziert Randgruppen, zerrüttete Familien, Gewalt in der Familie, Alkohol- und Drogenmissbrauch. Ursachen dafür sind: Armut durch Kinderkriegen, Arbeitslosigkeit, Spaltung der Gesellschaft in Underdogs und gut situiertes Bürgertum. Die Kinder aus solchen „Verhältnissen“ haben keine Lobby und erfahren in unserer Gesellschaft keine Unterstützung. Einrichtungen wie Kindergarten und Schule versagen, weil auf Leistung und Selektion ausgelegt. Dass Kinder aus schwierigem sozialem Umfeld dann nicht so funktionieren, wie man es von ihnen erwartet, ist ein Aufschrei, ein Hilferuf an uns alle: Sie wollen einfach nur Mensch sein dürfen und anerkannt werden als solcher. Und als eines der reichsten Länder der Welt fällt uns nichts anderes ein, als diese Kinder wegzusperren und mit kranken pädagogischen Konzepten zu „brechen“ oder „umerziehen“ zu wollen. Umerziehung gab es vor allen in totalitären Systemen wie dem Dritten Reich oder der DDR.

Es gab in den 90er Jahren in der BRD viele Projekte, mit „intensivpädagogischen Maßnahmen“, teilweise sogar im Ausland oder auf Schiffen, fernab von dem ursprünglichen sozialen Umfeld diesen jungen Menschen mit einem hohen pädagogischen und persönlichen Einsatz zu helfen, ihren Lebensfaden zu finden. Diese Projekte hatten eine hohe Erfolgsquote, wurden aber nach einer Reihe von populistischen Medienberichten („Jugendliche Straftäter auf Kosten des Staates auf Reisen!“) und dem allgemeinen Sparzwang von den Jugendämtern systematisch ausgetrocknet. Und so bleibt denen nichts anderes übrig als wegzusperren und wegzuschauen und abzuwarten, bis diese armen Wesen endlich volljährig sind, damit man sich nicht mehr um sie zu kümmern braucht. Dann werden diese schwer traumatisierten Menschen einfach in das „normale Leben“ entlassen und gestalten von nun an mit an unseren gesellschaftlichen Verhältnissen. MARKUS SCHWARZ, Wunstorf

Folter im wahrsten Sinne

■ betr.: „Das Heim der gequälten Kinder“, taz vom 15./16. 6. 13

Ich habe diesen Artikel mit Schaudern gelesen und mich spontan gefragt, ob es nicht möglich ist, eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten, damit dort ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann, auch gegen das zuständige Landesjugendamt. Denn was in Ihrem Bericht zu lesen ist, hat mit Erziehung kaum noch etwas zu tun. Das ist in fast allen Belangen Körperverletzung, Kompetenzüberschreitung und vom Jugendamt Ignoranz gegenüber Schutzbefohlenen. Selbst mit dem Begriff „Schwarzer Pädagogik“ ist das noch viel zu schwach umschrieben, das ist Folter im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hoffe und wünsche, dass dieser Artikel in den betroffenen Ministerien, dem zuständigen Jugendamt aber vor allem auch in der Hamburger SPD die Zuständigen aufwachen und tätig werden lässt. ALBERT WAGNER, Bochum

Von Deutschland lernen

■ betr.: „Blumen auf dem Taksim-Platz“, taz vom 17. 6. 13

Wer sich bei uns angesichts der Tränengas- und der polizeilichen Knüppeleinsätze in der Türkei die Augen reibt, sollte sich Gedanken darüber machen, woher diese Staaten ihr Know-how und die entsprechenden Waffen haben. Als die westdeutsche Polizei ähnlich massiv gegen „Castor-Schotterer“ vorging, wurde das hier nicht sonderlich ernst genommen. Dass bei diesen und ähnlichen Einsätzen im Rahmen europäischer Zusammenarbeit auch Polizei-„Beobachter“ anderer Länder aktiv mit gedroschen und gesprüht haben, ist Programm. Machterhalt gegen aufmüpfige Bürger. Manche „Sicherheitskräfte“ lernen schnell. Und setzen das Gelernte gerne um. Mit Demokratie oder gar Rechtsstaatlichkeit hat das nix zu tun. Weder in der Türkei, noch in Deutschland. Hier geht Polizei und Justiz gegen Menschen vor, die einen Aufruf zum „Schottern“ unterzeichnet haben, in Dresden einen Lautsprecherwagen fahren oder gar im Frankfurter Bankenviertel demonstrieren. Weite Bereiche für eine Fortsetzung von Erfahrungsaustausch. DIETER METK, Lüchow

Kompliment für eure Berichte

■ betr.: „Willkommen in Resistanbul“, taz vom 3. 6. 13

Schon die Wortschöpfung „Resistanbul“ war gut. Kompliment für eure Brerichterstattung zu Taksim! Ihr trefft den Kern, die Atmosphäre und habt als Erste geschaltet. Die Bevölkerung von Istanbul braucht jetzt viel Zuspruch, besonders die jungen. Bewundere ihren Mut, Humor, Poesie und Solidarität. ILONA HORN, Marburg

Restriktive Asylpolitik

■ betr.: „Mehr als nur normal gefährdet“, taz vom 11. 6. 13

Es sollte selbstverständlich sein, dass die afghanischen Mitarbeiter der Bundeswehr nach dem Abzug der deutschen Truppen Asyl in Deutschland erhalten können. Alle AfghanInnen, die in irgendeiner Weise mit den Deutschen zusammengearbeitet haben, werden von ihren Landsleuten als „Verräter“ angesehen und sind daher höchst gefährdet. Das deutsche Vorgehen fügt sich aber nahtlos ein in die restriktive Asylpolitik, die seit Jahren verfolgt wird und für eine Abschottung nach außen sorgt. Leider ist auch von der noch zu verabschiedenden Dublin-III-Verordnung nur eine Verschlimmbesserung zu erwarten. Es wäre an der Zeit, Asylsuchenden wieder allgemein freien Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewähren ohne Androhung von Haftstrafen. HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel