: Erdogan: Wenn nötig, kommt die Armee
TÜRKEI Mit massivem Polizeiaufgebot blockiert die Regierung in mehreren Orten Proteste von Gewerkschaftern
HÜSEYIN AVNI MUTLU, GOUVERNEUR VON ISTANBUL
AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH
Wenn nichts mehr hilft, hilft die Armee. Diesen Slogan der alten Kemalisten macht sich jetzt auch der angebliche Kämpfer gegen den Einfluss der Armee in der Türkei, Ministerpräsident Tayyip Erdogan, zu eigen. Am Montag ließ sein Stellvertreter Bülent Arinc in einer Pressekonferenz in Ankara die Katze aus dem Sack: „Die Polizei ist da“, sagte er. „Wenn das nicht reicht, kommt die Gendarmerie. Wenn das nicht reicht, kommen die Streitkräfte.“ Die jeweiligen Gouverneure, die auch für die Sicherheit ihrer Provinzen zuständig sind, hätten das Recht, letztlich auch den Einsatz der Armee anzufordern, wenn die anderen Sicherheitskräfte mit illegalen Demonstrationen nicht mehr fertig werden.
Doch noch ist es nicht so weit. Am gestrigen Montag gehörte – nach den Straßenschlachten vom Wochenende – den Gewerkschaften die Szene: Zwei große Dachverbände, die linke DISK und die Gewerkschaft des öffentliches Dienstes KESK, sowie drei weitere kleine Branchengewerkschaften riefen zu Streiks und Solidaritätskundgebungen auf. Tausende folgen diesem Aufruf.
Es begann, friedlich, in Izmir. DISK-Mitglieder marschierten auf dem Prachtboulevard am Meer, ohne von der Polizei belästigt zu werden. Das sah in Ankara anders aus. Dort stoppte die Polizei den Zug einige Kilometer vor dem zentralen Kizelay-Platz im Zentrum der Hauptstadt. Die Gewerkschafter ließen sich nicht provozieren und blieben friedlich.
In Istanbul hatten die Gewerkschaften ihren Streik erst am Mittag begonnen. Zuvor war in den Betrieben noch diskutiert worden. Ab 14 Uhr sollte von unterschiedlichen Plätzen aus ein Sternmarsch auf den Taksim-Platz stattfinden.
Bereits im Vorfeld hatte Innenminister Muammer Güler gedroht, diese „Streiks sind illegal“: „Es gibt den Willen, die Menschen mit illegalen Aktionen wie Arbeitsniederlegungen und einem Streik auf die Straße zu holen“, sagte er. „Unsere Sicherheitskräfte werden das verhindern.“ Der Gouverneur von Istanbul, Hüseyin Avni Mutlu, sagte, „der Taksim-Platz ist für die Gewerkschaften tabu“.
Noch bevor die einzelnen Gruppen sich in Richtung Taksim-Platz in Marsch setzen konnten, hatten Polizeieinheiten sie eingekesselt. Eine Demonstration von rund 3.000 Leuten auf dem Tünel-Platz löste sich am Nachmittag friedlich auf.
Der Taksim-Platz war für normales Publikum geöffnet, sogar die U-Bahn fuhr wieder, bis sie wegen der Gewerkschaftskundgebungen ihren Betrieb erneut einstellen musste.
Aus dem mittlerweile weltberühmten Gezi-Park ist unterdessen ein Polizei-Park geworden. Hunderte Polizisten hocken im Schatten der von der Gezi-Bewegung geretteten Bäume und sehen zu, wie Arbeiter der Stadtverwaltung fleißig Löcher graben, um im Auftrag von Erdogan neue Bäume zu pflanzen.
Denn „wir sind die wahre Umweltbewegung“, hatte der seinen Anhängern zugerufen. Sehen sollten das aber nur die Freunde der Türkei. „Warum hast du CNN International reingelassen“, rief ein Polizist entsetzt seinem Kollegen zu, „die ausländischen Medien sollen doch nicht in den Park.“
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