Was ist schon wirklich weich im Leben?

„Alles gebraucht“: Kirsten Brünjes tönerne Stofftiere bevölkern den Pavillon des Gerhard Marcks-Hauses

In geradezu sterilem Weiß erstrahlt das Innere der früheren Bedürfnisanstalt am Ostertor, die vom benachbarten Gerhard Marcks-Haus seit 1990 als Ausstellungspavillon genutzt wird. Ebenso weiß ist das darin aufgebaute „Himmelbett“. Dessen Dach allerdings nicht aus duftigem Stoff, sondern einem Bretter-Flachdach besteht. In diesem Bett-Bungalow haust ein knappes Dutzend Tiere.

Kirsten Brünjes hat sie locker auf geblümtem Stoff gruppiert, nun suchen sie unter einer nackten Glühbirne nach Intimität – auf die hier freilich wenig Chancen bestehen. Schon das eigene Material spricht gegen Kuscheligkeit: Eichhörnchen, Hase, Giraffe & Co sind aus weißem Ton modelliert, das Ganze ist geradezu ein Anti-Plüschtier-Projekt, auch wenn etliche BetrachterInnen die Objekte immer noch „süß und niedlich“ fänden, wie Brünjes erzählt. „Ich finde das nicht.“

Die gebürtige Bremerhavenerin, ausgebildet unter anderem an der hiesigen Kunsthochschule, ist zweifellos Tierexpertin, immerhin hat sie die Bremer Stadtmusikanten schon bis ins japanische Kawasaki exportiert. Warum also beraubt sie die kindlichen Gefährten ihrer Knopfaugen und des Fells? „Mir geht es nicht um die Kuscheltiere als solche, sondern um die Geschichten, die sie erzählen.“ Zum Beispiel die des kollabierten Lamms rechts vorn: Es scheint frisch dem Schleuderprogramm einer Waschmaschine entsprungen, nun liegt es mit verdrehten Gliedern auf dem geblümten Stoff, fast so hilflos wie die auf ihrem Panzer wippenden Schildkröte. Allen Tieren wohnt etwas Schlumpfhaftes inne, jedenfalls eine gewisse Amorphität qua Rundung.

Eine Beobachterin bemerkt: „Das sind ja alles Pflanzenfresser“ – abgesehen vom Teddy, der aber Harmlosigkeit per se gepachtet hat. Marcks Haus-Kurator Arie Hartog entwickelt daraus flugs die These, vor 20 Jahren habe es „noch keine aggressiven Kuscheltiere“ gegeben. In der Tat stammen Brünjes Modelle allesamt aus der eigenen Kindheit beziehungsweise vom Flohmarkt. Brünjes damaliger Liebling, ein Koala, hebt in hilflosem Protest die tapsigen Arme, angelehnt an einen dickbeinigen Elefanten. Man hört es fast: „Ich will noch nicht schlafen!“

Apropos: Sind alle im Bett? Nein. Auf der Fensterbank hinkt ein Dromedar (hier „einhöckeriges Kamel“ genannt) gegenüber mauzt ein an die Wand geklatschter Kater. „Hängekatze“ heißt das Werk, die Kopfform würde allerdings auch als Teddy durchgehen. Dieser Osterhase = Weihnachtsmann-Effekt ist durchaus erwünscht. Indem die Tiere betont kugelige Formen erhalten, entstünde größerer Freiraum, erklärt Brünjes, „etwas Fließendes“.

Genau das ist es: Entgegen der allgemeinen Tendenz der aktuellen Bildhauerei, extrem Eckiges und Rundes aufeinander prallen zu lassen, verlagert Brünjes den Gegensatz auf die Diskrepanz zwischen Form und Material. Das als weich erwartete Kuscheltier ist in Wahrheit aus glattem, hart gebranntem Ton, was für Hartog wiederum direkt zu einer der „interessantesten bildhauerischen Fragen“ führt: Was ist das Weiche?“ Brünjes hat ihre Antwort gefunden: Eine Konstruktion der Erinnerung. HB

„Alles gebraucht“: bis 2. April im Pavillon des Marcks-Hauses (Am Wall 208)