Wenn Sportlehrer nahe rücken

Das Amtsgericht stellte das Verfahren gegen einen angehenden Lehrer ein, der zum zweiten Mal wegen sexueller Belästigung angezeigt worden war. Nun muss die Schulbehörde den Fall bewerten

Bremen taz ■ Am Gymnasium Hamburger Straße war Referendar L. im Herbst von einem Tag auf den anderen verschwunden. „Suspendiert“, sagt die Schulbehörde, Einzelheiten fallen in solchen Personalfragen unter den Datenschutz. Vor einigen Tagen fand nun der Prozess statt – die Schule wusste davon nichts. Angezeigt worden war der angehende Sport- und Religionslehrer wegen „exhibitionistischer Handlungen“ (§ 183 StGB). Er hatte über eine längere Zeit einer Frau am Werdersee nachgestellt. „Ich war erschreckt, fühlte mich bedroht und wollte nach Hause gehen, wieder folgte er mir“, heißt es in dem ausführlichen Bericht der 43-Jährigen. Schließlich stellte er sich vor ihr an den Weg und onanierte. Als die alarmierte Polizei eintraf, fand die den Junglehrer mit zwei Schülerinnen an derselben Stelle. Die Überprüfung ergab, dass es gegen L. schon Anzeigen wegen ähnlicher Vorgänge gab.

Einigermaßen entsetzt war die Frau, die als „Geschädigte“ vor Gericht aussagen musste, über das, was sie dort erlebte. Der Anwalt bot ihr während der Gerichtsverhandlung die Zahlung von 300 Euro an, wenn sie die Strafanzeige zurückziehen würde. Sexistische Aufdringlichkeit gegen Geld – empört lehnte die Betroffene das ab. Der angeklagte Referendar erinnerte sich nicht und machte dafür den Alkohol verantwortlich: An jenem Donnerstag war er mit einer Flasche Ouzu an den Werdersee gegangen, die Polizei hatte im Nachhinein 2,5 Promille gemessen. So etwas vermindert die Schuld. Der Angeklagte las – zu der Zeugin gewandt – einen Satz vor, nach dem er, falls es denn etwas gegeben habe, er das bedauere. „Das war eine Farce“, sagt die Betroffene dazu.

Schließlich gab der Verteidiger zu Bedenken, dass für den Angeklagten die Lehrer-Karriere auf dem Spiele stehen würde. Der Richter hatte, wie er erklärte, vor dem Verfahren erwogen, die Sache gegen eine Geldbuße einzustellen. Dass er schon suspendiert war, sei dann einer der Gründe gewesen, warum er am Ende eine Einstellung ohne Geldbuße für vertretbar hielt. Über die weitere Lehrertätigkeit müsse die Schulbehörde entscheiden, das wolle das Gericht nicht präjudizieren, das war die Überzeugung von Richter wie Staatsanwältin.

Der innenpolitische Sprecher der SPD, Hermann Kleen, nahm die Einstellung des Verfahrens zum Anlass, um vor einer Verharmlosung von Sexualstraftaten zu warnen. Exhibitionismus sei oft ein „Einstiegsdelikt zu schwerwiegenderen Sexualstraftaten“.

Die Schulbehörde wartet in derartigen Fällen allerdings auf das Urteil des Amtsgerichts in der Erwartung, dass das Urteil einen eindeutigen Fingerzeig für den disziplinarrechtlichen Vorgang gibt. In diesem Fall ist nun das Gegenteil passiert. Auch in einem einschlägigen Vorfall aus dem Jahre 2000, den der Richter aus den polizeilichen Akten vortrug, hatte es kein Urteil gegeben. Eine polizeiliche Anzeige aus dem Jahre 2004 – „junge Mädchen“, wie der Richter in der Verhandlung sagte, hatten sich belästigt gefühlt – war ganz ohne Folgen geblieben.

An der Schule hatte es in den wenigen Monaten, in denen der Referendar dort unterrichtete, schon ein Krisengespräch gegeben. Offenbar hatte L., so bewerten das Lehrerkollegen, seine Unsicherheit mit Kumpelhaftigkeit überspielen wollen und einzelne Schülerinnen empfanden das als fehlende Distanz, die gerade bei Sportlehrern zu den Grundvoraussetzungen einer Lehrerpersönlichkeit gehören sollte.

Aber all das sind keine eindeutigen justiziablen Vorgänge. Die Schulbehörde wartet nun auf die Gerichtsakte, um danach zu entscheiden, ob sie den Referendar, der seine Ausbildung nicht beenden konnte, wieder an eine Schule lassen soll – oder muss. kawe