Ein Scout in der Sübkültür

Als Kind hat sie kommunistische Dichter aus der Türkei rezitiert, heute holt sie erwachsen gewordene Gettokids auf die Theaterbühne: Für Shermin Langhoff, die am HAU das „Beyond Belonging“-Festival kuratiert hat, sind deutsche und migrantische Kultur längst eng verschmolzen. Ein Porträt

von ESTHER SLEVOGT

„Kommen Sie ins WAU“, sagt Shermin Langhoff am Telefon, ins Café, das im Erdgeschoss des HAU1 am Halleschen Ufer liegt. Sie sei jetzt sowieso den ganzen Tag im Haus und gucke bei Proben verschiedener Produktionen zu, die im Rahmen des von ihr kuratierten Festivals „Beyond Belonging. Migration[2]“ zu sehen sein werden. Ein Projekt mit Pilotcharakter, das noch bis März Kultur und Diskurse türkischer Migranten und türkischstämmiger Deutscher präsentiert. Darunter sind seriös gewordene Ghettokids wie der Schauspieler und Ex-Islamic-Force-Musiker Tamer Yigit, Filmer wie Ayse Polat und etablierte Autoren wie Feridun Zaimoglu oder FR-Literaturkritikerin Hilal Sezgin. Ein Highlight im Januar war das Konzert mit Musikern aus Fatih Akins Film „Crossing The Bridge“, dessen Regieassistentin Shermin Langhoff gewesen ist.

„Méttisage“ heißt der Schlüsselbegriff, den sie zwei Tage später als semantische Herausforderung präsentiert. Das elegant klingende Wort heißt übersetzt ursprünglich und etwas unschön „Bastardisierung“ und hat sich im Lauf einer inzwischen über zwanzigjährigen soziologischen Auseinandersetzung mit Migration als Vokabel für die gegenseitige Durchdringung und Verschmelzung von mitgebrachter und vorgefundener Kultur durchgesetzt. Wichtiger Kampfbegriff ist in diesem Zusammenhang das Wort „Kanake“, das vom rassistischen Schimpf- zum Kultwort mutierte, weil die damit Verunglimpften es durch den Kunstgriff entschärften, sich einfach selbst so zu nennen. „Wie das funktioniert, haben erfolgreich die amerikanischen Rapper am Ausdruck ‚Nigger‘ vorexerziert“, sagt Shermin Langhoff.

Auch sonst ist die kulturelle Praxis längst von neuen Formen des Austauschs geprägt: Es gibt Organisationen wie „Kanak Attak“, die an allen Fronten gegen die „Kanakisierung“ kämpfen und dabei dümmliche Multikulti-Ideologen ebenso ins Visier nehmen wie Leitkulturchauvinisten. Oder den Mannheimer Schriftsteller Feridun Zaimoglu, mit dessen Buch „Kanak-Sprak“ Sprache und Lebenswelt der türkischen Migranten in den 90er-Jahren zum ersten Mal bis in die Feuilletons drangen. Inzwischen ist „Kanak-Sprak“ Pop und die Kultur der Deutschtürken mit ihren satten Tönen auch für die anämische Hochkultur attraktiv, als deren Scouts und Schleusen Institutionen wie das HAU eine wichtige Rolle spielen.

Am Anfang sei sie deshalb skeptisch gewesen, ob sie das Angebot von HAU-Chef Matthias Lilienthal, ein Festival zur Migrantenkultur zu kuratieren, annehmen sollte, sagt Shermin Langhoff. Das verzerrte öffentliche Bild muslimischer Migranten, für Shermin Langhoff im vergangenen Jahr besonders unerträglich in der Berichterstattung über den so genannten Ehrenmord an Hatün Sürücü und den darin transportierten Vorstellungen von türkischen Parallelgesellschaften, hat sie umgestimmt. In Zeiten, in denen über Integration nur aus der Perspektive ihres Scheiterns diskutiert werde, sei es an der Zeit, den Blick einmal umzudrehen und denen eine Plattform zu geben, die sonst nur Gegenstand der Debatte sind, selbst aber kaum Artikulationsmöglichkeiten haben.

Wie wichtig das ist, wird für Shermin Langhoff auch an der medial geschürten Hysterie um die dänischen Mohammed-Karikaturen sichtbar. Da reagierten deutsche Medien direkt auf Vorfälle im Teheran, Damaskus oder Beirut – den gemäßigten muslimischen Migranten im eigenen Land gelte kaum eine Fußnote.

Schon seit einigen Jahren ist Shermin Langhoff an der Schnittschnelle zwischen Hoch- und Subkultur, alt- und neudeutscher Künstlerszene aktiv. 2003 hat sie das deutsch-türkische Kulturbüro „kulturSPRÜNGE“ gegründet, dessen größte Veranstaltung im Dezember 2004 das Filmfest „Europe in Motion“ war. Zusammen mit Arved Schulz und Sven Heier leitete sie zudem das HAU-Projekt „X-Wohnungen“, an dem sich auch Fatih Akin mit einer ersten Theaterarbeit beteiligte. Eigentlich kommt sie vom Film, hat Produktion gelernt und als Aufnahmeleiterin und Produktionsassistentin gearbeitet.

Gewisses Aufsehen erregt Shermin Langhoff auch durch ihren Nachnamen. Sie ist mit dem Regisseur Lukas Langhoff verheiratet, also Schwiegertochter von Thomas Langhoff, weshalb der Urgroßvater ihrer siebenjährigen Tochter Rosa die Theaterlegende und antifaschistische Ikone Wolfgang Langhoff ist, dessen weltberühmtes KZ-Lied „Die Moorsoldaten“ Shermin Langhoff schon seit ihrer Kindheit im Milieu linker türkischer Arbeiterorganisationen in Nürnberg gekannt hat.

1969 wurde sie im westtürkischen Bursa geboren, die ersten neun Jahre verbrachte sie bei den Großeltern in einem Dorf an der Westküste der Ägäis. 1978 kam sie mit ihrer Mutter nach Nürnberg, wohin schon ein Teil der Familie übergesiedelt war. Eine jüngere Schwester der Mutter, die fast noch ein Teenager war, schleppt Nichte Shermin durch die linke türkische Politszene Nürnbergs. So steht Shermin Langhoff bereits mit neun Jahren zum ersten Mal auf der Bühne eines türkischen Arbeitervereins und rezitiert Nazim Hikmet, den großen türkisch-kommunistischen Dichter. Seitdem weiß sie, dass man Politik am besten über Kultur vermitteln kann. Außerdem macht Politik so am meisten Spaß.

Spaß macht Shermin Langhoff auch das Leben als Scout in der türkischen Subkultur, und sie träumt davon, eine „Akademie der Autodidakten“ zu gründen. Dort sollen einerseits Nachwuchsbegabungen aus dem Migrantenunderground eine Plattform finden und andererseits Regisseure wie Thomas Arslan, Ayse Polat oder Fatih Akin Seminare abhalten können. Als Ort, an dem dieser Traum realisiert werden könnte, rückt nun das Ballhaus Naunynstraße in greifbare Nähe. Denn dessen langjähriger künstlerischer Leiter Volker Bartz geht in Rente, und die Stelle ist vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg neu ausgeschrieben. „Das bedeutet 15 Stunden Arbeit und wahrscheinlich wenig Geld“, sagt Shermin Langhoff und guckt ziemlich entschlossen. Und wie eine, die weiß, dass die Zeit reif und sie eigentlich die Idealbesetzung ist.