Die Unis werden wählerisch

In Zukunft dürfen sich die Universitäten einen Großteil ihrer Studenten selbst aussuchen. Unklar ist aber noch, nach welchen Kriterien. Die TU diskutiert heute einen Tag lang über Auswahlverfahren

VON MARTIN KAUL

„Selecta“ steht in großen roten Buchstaben an einem Süßigkeiten-Automaten in der Humboldt-Universität (HU). Wer hier studiert, hat die Auswahl – zumindest wenn es um Sahnebonbons, Schokoriegel und Salzheringe geht. Gegen Münzeinwurf, versteht sich.

Auch wer die Wahl hat für einen der weit über 100 Studiengänge, die an den drei großen Berliner Universitäten angeboten werden, dürfte etwas Reizvolles finden. Nur: Ob man das Sahnebonbon bekommt – etwa den Zuschlag zum Medizinstudium an der Charité, wo sich auf einen Studienplatz 20 Abiturienten bewerben – oder in den sauren Apfel beißen und zu Hause bleiben muss, das entscheidet die Uni. Und zwar zunehmend selbst.

Die Grundlage dafür bildet das Hochschulzulassungsgesetz vom Mai 2005: Es ermöglicht den Unis in einzelnen Studiengängen, bis zu 60 Prozent ihrer Studierenden nach eigenen Auswahlverfahren auszusuchen – und nicht wie bislang nahezu ausschließlich über die Abiturnote oder die Anzahl der Wartesemester. Diese Regel gilt schon jetzt – ab dem Sommersemester 2007 ist sie in einigen Studiengängen Pflicht. Und in den meisten anderen gilt dann: Selektiert die Uni nicht nach eigenen Kriterien, wird die Hälfte der Studienplätze nach Abiturnote und die andere nach Wartesemestern verteilt. Dieses starre Schema lehnen die Unis jedoch ab.

Das Ziel der Selektion ist klar: „Wir hoffen, mit diesen universitären Auswahlverfahren die leistungsfähigsten Schüler gewinnen zu können“, sagt Jörg Steinbach, Erster Vizepräsident der TU. Letztlich sollten so die Ausbildungszeiten verkürzt, die Abbrecherquoten reduziert und die Anzahl der Studierenden, die ihr Studium in der Regelstudienzeit absolvieren, erhöht werden.

Unklar ist hingegen das Wie: Denn wer diese 60 Prozent ausschöpfen will, muss ab 2007 neben der Abiturnote auch mindestens ein weiteres Kriterium hinzuziehen. Möglich wäre etwa die Gewichtung von bestimmten Noten aus dem Abizeugnis, persönliche Auswahlgespräche oder fachspezifische Studierfähigkeitstests. Und: Soll die Auswahl nun leistungsorientiert sein? Oder sozial gerecht? Beides gar? Und wie gelingt es, das Verfahren gerichtsfest zu machen?

Derzeit läuft an den Unis die Debatte: An der HU wird ein entsprechender Entwurf für den Akademischen Senat vorbereitet, an der Freien Universität (FU) sondiert eine Arbeitsgruppe die Möglichkeiten universitätsweiter Auswahlverfahren, und an der Technischen Universität (TU) fallen heute deswegen sogar alle Lehrveranstaltungen aus: Sie veranstaltet einen „Hochschultag über Hochschulzulassung“.

Sicher ist dagegen: Die transparenten Zeiten, in denen das Verwaltungsgericht noch die Info-Broschüren und Antragsformulare zur Studienplatzklage verteilt hat, werden dann vorbei sein. In der Praxis ist es künftig nahezu in jedem Studiengang möglich, für 60 Prozent der Bewerber ein eigens auf das Profil des Studiengangs zugeschnittenes Auswahlverfahren durchzuführen – und damit je nach Fach individuelle Zulassungsvoraussetzungen zu schaffen.

Und egal, nach welchen Kriterien die Auswahl ablaufen wird – eines bringen die neuen Spielräume mit sich: „So entsteht ein weiterer von verschiedenen Bausteinen im Profil einer Uni“, sagt Joachim Baeckmann, Leiter der HU-Studierendenverwaltung.

Dieses Profil ist auch für die potenziellen Bewerber wichtig: „Wenn später etwa die Beteiligung in Leistungskursen mit entscheidend für den Studienplatz ist, müssen Schüler dann schon bei der Wahl ihrer Kurse in der Oberstufe wissen, wohin es mit ihnen beruflich später gehen soll“, sagt TU-Vize Steinbach. Gerade sie, die Berliner Schülerinnen und Schüler, dürfen damit noch zeitiger um einen Studienplatz bangen. Längst müssen viele von ihnen wegen der großen Studienplatznachfrage auf eine Uni in einer anderen Stadt ausweichen. Daran soll sich nichts ändern: Ein Bonus für Berliner ist nicht vorgesehen – und bei 53.000 Bewerbungen auf 13.300 Studienplätze, wie etwa im Wintersemester 2004, sind die Erfolgsaussichten mäßig.

Das Gedrängel um die Studienplätze dürfte die Bewerber teuer zu stehen kommen. Laut Hochschulzulassungsgesetz können Gebühren von bis zu 25 Euro pro Auswahlverfahren erhoben werden. „Weil aufgrund der hohen Bewerberzahlen Mehrfachbewerbungen die Regel sind, kommen Abiturienten zukünftig locker auf 200 Euro, ohne zu wissen, ob man hinterher einen Studienplatz bekommt“, kritisiert Lisa Paus, die hochschulpolitische Sprecherin der Grünen. Die Krux daran: Zahlen muss, wer abgelehnt wird. Wer angenommen wird, hat Glück: „Im Falle der Immatrikulation wird die Aufnahmegebühr mit der Immatrikulationsgebühr verrechnet“, heißt es in dem Gesetz.

Hochschultag „Hochschulzulassung“, heute zwischen 9 und 17 Uhr an der TU, im Hauptgebäude, Hörsaal H 104. Programm: www.tu-berlin.de/