„Bewusst unterversorgt“

DISKUSSION Geht das Prinzip „Vernichtung durch Arbeit“ auf die deutsche Kolonialzeit zurück?

■ 48, Professor für die Geschichte Afrikas in Hamburg, forscht zu Kolonialismus, Postkolonialismus und Genoziden.

taz: Herr Zimmerer, ist das Prinzip „Vernichtung durch Arbeit“ keine Erfindung der Nazis?

Jürgen Zimmerer: Das wurde zum ersten Mal in Deutsch-Südwestafrika praktiziert, in Konzentrationslagern – die hießen damals auch so –, etwa auf der Haifischinsel vor Lüderitz.

Ist die Vernichtung durch Hunger und Durst für den Krieg in „Südwest“ nicht typischer?

Es gab die Vertreibung der Herrero in die Wüste und die Absperrung der Wüste, durch die Zigtausende elendig zu Grunde gingen. Aber es gab eben später auch diese Lager, in denen man vor allem Nama-Zivilbevölkerung internierte und dann eben einfach bewusst unterversorgte. Das waren Zwangsarbeitslager, in denen, wenn man abwägen musste zwischen Zwangsarbeits-Ausbeutung, die eine Versorgung nötig machte, oder eben Nicht-Versorgung, man die Nicht-Versorgung wählte. Dass die Zwangsarbeitsleistung zurückging, nahm man in Kauf. Daraus ziehe ich den Schluss, dass es eine Idee wie „Vernichtung durch Arbeit“ in den Lagern schon gab.

Was sind die Parallelen zur deutschen Besatzung in Polen im Zweiten Weltkrieg?

Beiden liegt eine Lebensraum-Ideologie zugrunde, weil man glaubte, das deutsche Volk brauche mehr Raum. Und mit der Besatzungspolitik wurde die Bevölkerung Namibias ebenso wie die Polens in einem kolonialen Unterordnungsverhältnis auf rassistischer Grundlage gehalten.

Mit Polen hat es ja eine Aussöhnung und auch Entschädigungen gegeben. Steht das für das heutige Namibia noch aus?

Die Verbrechen des Dritten Reiches sind vergleichsweise gut aufgearbeitet. Dass es diese Kolonialverbrechen wie Völkermord, Sklaven- und Zwangsarbeitssysteme gegeben hat, ist dagegen einem Großteil der deutschen Bevölkerung kaum bewusst, geschweige denn, dass man diese aufarbeitet oder entschädigt.

Sind namibische Entschädigungs-Forderungen berechtigt?

Die Frage ist, ob man die Opfer überhaupt angemessen entschädigen kann. Deutschland täte jedenfalls gut daran, Zahlungen nicht länger als „Hilfe“ zu deklarieren. Zumindest eine Anerkenntnis der deutschen Kolonialverbrechen und eine förmliche Entschuldigung wären fällig.INTERVIEW: JANK

„Kolonialherrschaft und Zwangsarbeit – Deutsch-Südwestafrika und das besetzte Polen im Vergleich“, mit Hans H. Hahn (Uni Oldenburg) und Jürgen Zimmerer (Uni Hamburg): 20 Uhr, Residenz des polnischen Generalkonsuls, Maria-Louisen-Straße 137. Restplätze unter marek.sorgowicki@msz.gov.pl