Viel Lärm um wenig Rente

Die SPD streitet über die Alterssicherung, obwohl sie inhaltlich im Grunde einig ist

BERLIN taz ■ Franz Müntefering hat mit seinem Rentenvorstoß die SPD gegen sich aufgebracht. Doch der Streit verdeckt den Blick auf das Wesentliche: Inhaltlich sind sich SPD-Parteichef Matthias Platzeck und Müntefering einig.

In der SPD scheint es derzeit zuzugehen wie in den 90ern, als sich die „Enkel“ gegenseitig bekriegten. Arbeitsminister Müntefering hat der Partei und deren Chef Platzeck „Kreisliganiveau“ bescheinigt. Die Partei ist sauer, dass sich Müntefering für die Rente mit 67 engagiert. Sowohl Linke als auch der Sprecher des rechten Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, bemängeln, dass in der großen Koalition zu wenig Sozialdemokratisches zum Vorschein kommt.

In dieser Lage bohrt Müntefering mit der Erhöhung des Rentenalters am Nerv der Partei. Die Rente ist in manchen Ortsvereinen das zentrale Thema – kein Wunder bei einer Partei, die fast zur Hälfte aus über 60-Jährigen besteht. Doch Müntefering bleibt eisern. Auch Ausnahmen für besonders stark belastete Berufe, etwa Krankenschwestern, soll es nicht geben. Dafür, so Müntefering, soll, wer 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt habe, auch weiterhin schon mit 65 in Rente gehen. Dies treffe ja gerade für körperlich anstrengende Berufe wie Dachdecker und Krankenschwestern zu. Dieses Argument ist allerdings wackelig. Der Dachdecker, der mit 20 anfängt und mit 65 aufhört zu arbeiten, ist eher eine Figur aus der Arbeitswelt von gestern als der von 2029. „Einzelfallgerechtigkeit“ lautet vorerst die Formel der SPD, um das Thema wieder in den Griff zu bekommen. Keine Ausnahmen für Berufe, aber irgendwie doch Härten vermeiden. Die zweite SPD-Verteidigungslinie an der Rentenfront ist der gestern vom Kabinett verabschiedete Entwurf, Kürzungen der Bruttorente bis 2009 zu verhindern. Das klingt gut – bei Nullrunden können die Renten trotzdem real sinken.

Merkel im Aufwind, Müntefering in Staatsmannpose, die Rente in den Schlagzeilen – das macht die SPD nervös, mit Blick auf die Landtagswahlen Ende März in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Daher rührt wohl die hochgepeitschte Rhetorik, die im Widerspruch dazu steht, dass nicht ganz klar ist, wo eigentlich der fundamentale politische Dissens liegt. Dass das Rentenalter steigen soll, steht im Koalitionsvertrag: Inhaltlich sind sich Platzeck und Müntefering über die Richtung der SPD einig: Erhöhung des Rentenalters in der Zukunft und heute mehr Geld für Eltern.

Im Kern geht es wohl um Fragen von Taktik und Stil. Am 8. März wird der Rentenbericht vorgestellt. Danach kann eine, im Hinblick auf die Landtagswahlen, schmerzliche Debatte über die Erhöhung der Rentenbeiträge drohen. Münteferings Kalkül ist offenbar, dies mit seinem jetzigen Vorstoß zu verhindern. Manche zweifeln an dieser Operation. Der Kieler SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels schaut mit „gelindem Unverständnis“ darauf, dass Müntefering energisch eine „Änderung, die erst 2013 greift“, anpackt.

Die Zerwürfnisse und Missverständnisse sind gewiss keine Inszenierung und doch oberflächlicher, als sie wirken. Katalysiert werden sie durch Münteferings Basta-Tonfall, der wenig zum sanften, harmonischen Platzeck-Stil passt.

So gibt es viel Streit, mit wenig harten Gründen. Dies verdeutlichte die seltsame Rolle rückwärts des Sprechers des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, der auf beiden Seiten zu kämpfen scheint. Vorgestern hatte er Münteferings Renten-Vorstoß noch einen „dummen Zeitpunkt“ bescheinigt, gestern bekundete er, dass es keine „Disharmonien“ zwischen Partei und Regierung gebe und alle stramm hinter Müntefering stehen.

Noch ist alles nur ein Spiel. Mit Verve aufgeführt, aber nicht ernst. Ernst wird es erst am Abend des 26. März, wenn die Landtagswahlen verloren gehen.STEFAN REINECKE

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