Juwelen aus dem Schlossgraben

KINO CCCP Rustam Chamdamov glänzte einst im Schattenreich des sowjetischen Films und kreiert noch heute artifizielle Bild-Traum-Welten. Das Kino Krokodil widmet dem Regisseur eine eintägige Retrospektive

„Als echter Aristokrat gehörst du keiner Nation an. Du bewunderst die gesamte Weltkultur“

VON BARBARA WURM

Vielleicht ist es die Logik schön-schräger Harmonie, dass die handverlesene Auswahl von Filmen Rustam Chamdamovs (die selbst handverlesen sind, bis zum Exzess) ausgerechnet im Kino Krokodil gezeigt wird. Jenem Rückzugsort bescheiden wie entschieden enthusiastischer Filmkultur, der neulich sein hundertjähriges Bestehen feierte, welches wiederum von Schließzeiten geprägt war, die an die langen Jahre der Abwesenheit dieses eigensinnigen Ausnahmekünstlers im Schlossgraben erinnern.

Chamdamov, 1944 in Taschkent geboren und erstmals 1967, noch während seines Filmstudiums am Moskauer VGIK in Erscheinung getreten – mit „My Heart’s in the Highlands (V gorach moe serdce)“, gelobt von Luchino Visconti bis Kira Muratova –, ist der edelste aller Prinzen, die im filmischen Schattenreich der UdSSR existierten und bis heute an der Kreation eigenständiger Bild-Traum-Welten feilen. Eine aristokratisch-dekadente Akkuratesse ist seinen Werken eigen. Eine Stilisiertheit, die zum Stil wird und sich nahtlos in ein Netzwerk flicht, das vom prärevolutionären Evgenij-Bauer-Chic und den exzentrischen Leningrader Twenties (FEKS) über Sergej Paradjanovs pompöse Stilleben-Couleurs bis hin zu schrillen Außenseiterfiguren wie Renata Litvinova reicht. Zu seinen Freunden und Förderern gehören nur die redlichsten, Elem Klimov, Sergej Solov’ev oder Andrej Končalovskij. Dass sein zweiter Film, „Unintentional Pleasures (Nečajannye radosti)“ (1972–74), der die Biographie des Stummfilm-Stars Vera Cholodnaja im Bürgerkriegs-Odessa in ein wundersames Schwarzweiß-Visier nimmt, von Mosfil’m vernichtet wurde, Teile davon (Drehbuch, Kostüme, Hauptdarstellerin) jedoch in einen hochgefeierten Film Nikita Michalkovs eingingen (heute eine Art Pabst-n-Putin der dynastischen Filmkulturnation) ist Ironie pur. Chamdamov revanchierte sich später, indem er die wiedergefundenen Retrolook-Fragmente in „Anna Karamazoff“ integrierte, jenen legendären Cannes-Flop von 1991, bei dem Jeanne Moreau nicht nur mitspielte, sondern leider auch Regie führte. Im Foyer des Kino Krokodil werden die Fragmente geloopt. Der skandalöse Dostoevskij-Tolstoj-Hybrid bleibt Teil des unknown cinema.

Es sind Sätze wie „Die Form diktiert den Inhalt“, zu hören im ebenfalls vorgeführten Künstlerportrait von Vladislav Yö (gemeinsam mit Maria M. Mitrovski Initiator der Retrospektive), die Chamdamovs solitäre Position als experimenteller Visionär unterstreichen. Was ihn jedoch zum Unikat macht, ist die Radikalität, mit der er sich als Teilhaber und Gestalter einer mondänen Artifizialität versteht, die den Arabesken des Historischen ebenso wie den Ambiguitäten der Moderne auf der Spur ist.

„Als echter Aristokrat gehörst du keiner Nation an. Du bewunderst die gesamte Weltkultur. Du wirst niemals ein echter Bourgeois werden und besitzt die Fähigkeit, alle/s zu lieben.“ Chamdamov – daran lassen vor allem sein magnum opus „Vocal Parallels (Vokaldy paralelder)“ (2005) sowie das Kleinod „Diamonds (Brillianty)“ (2010), keinen Zweifel – gehört einer Spezies an, die eher den Hauch der künstlerischen Welten eines Jean Cocteau atmet, als dass sie es verdient hätte, den versunkensten aller Sterne des einstigen Sonnensystems Kino CCCP abzugeben.

Zurzeit verfilmt Chamdamov die Kurzgeschichte „In a Grove“ des japanischen Schriftstellers Akutagawa Rynosuke, nur à la russe. Perfekte Kostüme gehören mit zum Wichtigsten, für den aktuellen Film verwendet er die originalen aus Eisensteins „Ivan der Schreckliche“. Ehre, wem Ehre gebührt. Wo „Diamonds“ – der den Bogen zum Retro-Style von „My Heart‘s in the Highlands“ schließt – nicht nur die Stummfilmästhetik als solche auferstehen lässt, sondern damit auch jene wenig narrative, dafür als Tragödie greifbare conditio humana, setzt „Vocal Parallels“ auf die Strategie des Gesamtkunstwerks. In beiden Fällen steht Litvinova als Autorin und Schauspielerin Pate, Moskaus queere, wunderbar schwer fassbare Pop-Diva. Im Kurzfilm rund um einen Liebesraub interagiert sie kometenhaft mit den Grazien des Russischen Balletts und kokettiert mit einer Stimme aus dem Radio; im „Konzert-Film“, der die Ruinenlandschaften der UdSSR mit ihren ethnografischen Peripherien kurzschließt, moderiert sie SU-Operndivas durch jene Seelenlabyrinthe, die von Glinka über Schumann bis Verdi und Puccini konfiguriert sind. Chamdamovs erudierte Eleganz gebiert wahrlich verschrobene Trips in die Kunst. Die virtuosesten enden mit Heldinnen der Luftfahrt. Stiljuwelen vom Feinsten sind das.

■ The Jewels of Rustam Chamdamov: Kino Krokodil, Greifenhagener Str. 32, 23. 7., ab 17 Uhr