Gänsehautmusik zur Currywurst

KONZERT Bei ihrem Konzert in der Zitadelle Spandau gaben sich Portishead gewohnt stimmungsvoll

Portishead live, da denkt man automatisch an die entrückte Atmosphäre, die die englische Band aus der Nähe Bristols für ihr Live-Album „Roseland NYC Live“ im eleganten New Yorker Roseland Ballroom eingefangen hat, die mit Hilfe des New York Philharmonic Orchestra heraufbeschworen wurde.

Ähnlich angemessen intim geht es am Dienstag beim Freiluftkonzert von Portishead in der Zitadelle Spandau, ihrem einzigen Auftritt in Deutschland in diesem Jahr, jedoch freilich nicht zu. Wir befinden uns auf einer Großveranstaltung, man mampft Currywurst, unterhält sich über das spektakuläre Wetter und ganz weit da vorne spielen Portishead, eingerahmt von „Schultheiss“-Werbebannern, ihre unglaubliche Musik.

Auch nicht gerade hilfreich für eine angemessene Stimmung ist, dass es noch nicht einmal dämmert, als das Konzert beginnt. Dabei gehört die Dunkelheit einfach zu Portishead, zu deren Musik man sich immer gerne Bilder von regennassen Häuserschluchten aus „Film Noir“-Streifen vorstellt.

Andererseits hält die Band ja selbst nicht viel von all den Klischees, für die sie seit ihrem berühmten Debüt „Dummy“ Anfang der Neunziger Jahre verantwortlich ist. Lieferanten von Musik für Edelbars und Nobelboutiquen wollten Portishead nie sein, und mit ihrem letzten, auch schon wieder fünf Jahre alten Album „Third“, haben sie dann gezeigt, dass sie sich längst eher als experimentelle Rockband denn als melancholischen Trip-Hop-Act verstehen.

Sie zelebrieren in Spandau dann natürlich schon all ihre Hits aus „Dummy“, verlöten gekonnt wie eh und je Hip-Hop-Scratching mit einem Cool-Jazz-Vibe, dazwischen erklingt eine verwehte Ry-Cooder-Gitarre und über allem erhebt sich die göttlich wie immer klingende Stimme von Sängerin Beth Gibbons.

Liebe zu Krautrock

Vor allem aber erlebt man die Portishead, wie man sie aus „Third“ kennt und zu denen man sich eine Bierwerbung fast schon wieder vorstellen kann. Die dramatische Grundstimmung, das Schwelgen im perfekten Sound, wird gerne durch Anleihen an schroffen Industrial-Sounds durchbrochen und die Liebe zu ausuferndem Krautrock, die vor allem der Chefsoundarchitekt von Portishead, Geoff Barrow, pflegt, bricht immer wieder durch. Da klackern die Drums schon mal eine Weile stoisch vor sich hin wie bei Can und die Band verliert sich beinahe in kosmischen Sounds. Hin und wieder wird ein Gitarren-Feedback eingestreut, als sei man bei Sonic Youth, und man kann sich richtiggehend vorstellen, wie Geoff Barow dabei innerlich grinst, weil es ihm eine Freude ist, den „Dummy“-Fan, der sonst lieber Rihanna hört, mit derlei Soundattacken zu irritieren.

Gegen Ende des Konzerts ist die Sonne dann endlich doch noch untergegangen. Als Zugaben gibt es noch ein paar frühe Klassiker und es kommt verspätet die Stimmung auf, bei der man sein Feuerzeug in die Höhe halten möchte. Jetzt wäre man vielleicht noch gerne einen Moment lang alleine mit dieser Gänsehautmusik. Aber das Massenpublikum treibt einen schon hinaus in die Nacht. Sterne am Himmel sind leider nicht zu entdecken. ANDREAS HARTMANN