Echte Wilde on Demand

NORDMÄNNER Ab Freitag kann man sie sich aus dem Netz holen, die knallharte Serie „Vikings“. Nicht nur der Verbreitungsweg setzt ganz auf die Jungen – auch die Figuren laden zur Identifikation ein

Es passt sehr gut zu „Vikings“, nicht aus der „Hörzu“ heraus um Publikum buhlen zu müssen

VON JENNI ZYLKA

Die Mönche im Kloster beten ohnmächtig gegen das Unwetter an, das an den Toren der Bastei rüttelt. Das ist die Prophezeiung, fürchtet einer: Die Hölle tut sich auf, gibt ein Monster frei, und wir müssen alle sterben! Papperlapapp, beruhigt der Abt, das ist nur ein Gewitter. Doch als Blitz und Donner von dannen rollen, erreichen tatsächlich Höllenwesen das Kloster, stehlen die Wertsachen und schlachten die Mönche ab wie Vieh. Denn die Monster sind Wikinger und werden vom furchtlosen Ragnar Lodbrok angeführt, dem ersten Nordmann, der dank der „Sonnenscheibe“ erfolgreich in den Westen segelte: Die Serie „Vikings“ erzählt den ultimativen Wikingermythos und steht dabei auf so historischem wie blutgetränkten Boden.

„Vikings“ ist düsterer, blutrünstiger und verzweifelter als die Snorra-Edda selbst. Die Geschichte, die der britische „Tudors“ und „Borgia“-Autor Michael Hirst um den 845 gestorbenen Ragnar Lodbrok konstruiert, strotzt vor bärtigen Männern, deren letzter Atemhauch sich mit dem Morgennebel der Fjorde vermischt, und vor dem Geräusch von zersplitternden Knochen. Über die wahnwitzig schönen irischen Set-Landschaften voller Wasserfälle und Wäldern hat die Postproduktion skandinavische Himmelbilder gesetzt, deren Wolkenformationen allein einen Film ausmachen könnten. Und während der Galions-Drache an Ragnars Kampfschiff sich mit Hilfe starker Ruderer nach einem Beutezug stolz in Richtung heimische Küste schiebt, schaut der spätere Wikingerkönig mit seinen jadegrünen Augen über das Meer.

Vor allem durch Kamera, Ausstattung und die Konsequenz, mit der „Vikings“ die Grausamkeit der Wikinger erzählt, ist Hirst ein Format gelungen, das sich grundlegend von üblichen Historienformaten unterscheidet. Neben der TV-Sektion von Metro-Goldwyn-Meyer war der seriöse History Channel als Produzent an Bord. Dort war die erste Staffel der Serie in den USA bereits zu sehen, eine zweite wurde soeben bestätigt.

Deutsche (und andere europäische) ZuschauerInnen müssen allerdings nicht warten, bis der extrem unwahrscheinliche Fall eintritt, dass ein deutscher Sender den Mut aufbrächte, diese Erwachseneninhalte im Nachtprogramm zu verstecken. Denn „Vikings“ wird ab übermorgen gegen Gebühr (und leider unschön synchronisiert) bei der Amazon-eigenen Online-Videothek „Lovefilm“ herunterzuladen sein.

Und schlägt damit einen Weg ein, den konventionelle Fernsehsender mit schlotternden Knien beobachten: Die reine Video-on-Demand-Veröffentlichung, ganz ohne das aussterbende Medium, das früher die Straßenfeger stellte.

Ein Nebeneffekt beim fernsehfreien Content-Marketing: Auch die ebenfalls aussterbenden, redaktionell aufgebauten Printmedien können wieder Anhaltspunkte liefern. Denn im für ältere UserInnen oft uferlosen Netz kann das Suchen nach hochwertigen Serien dauern.

„Lovefilm hat die BBC überboten“, erklärt Serienschöpfer Hirst denn auch stolz im Interview. Und erzählt, dass manche Sender, die Probleme mit der sinkenden Quote auf der einen und illegale Downloads auf der anderen Seite nicht länger hinnehmen wollen, neuerdings überraschend unkonventionell an Serien herangehen: „Sie stellen die Folge noch vor der Ausstrahlung online und setzen darauf, dass die durch Mundpropaganda angelockten Zuschauer eine bessere Quote bringen, als wenn überhaupt niemand zuguckt.“

Trotz der im Verhältnis zu modernem Serienniveau eher langsamen dramaturgischen Struktur, die von den Kampfszenen zwar vertuscht, aber kaum beschleunigt wird, passt es jedenfalls gut zu „Vikings“, nicht aus der Hörzu heraus um Publikum buhlen zu müssen: Die Geschichte um Ragnar, seine kampfbereite „Schildmaid“, den von Gabriel Byrne gespielten, unnachgiebigen Stammeshäuptling und den zwielichtigen Bruder Rollo richtet sich trotz historischem Background an junges Publikum, das eh keinen Fernseher mehr hat; und für das Ragnars halb rasierte, halb bezopfte Frisur – die laut Hirst „vor allem durch die Überlegung entstand, dass man ja damals sicher Läuse hatte“ – die Poesie und Anarchie des echten Wilden freisetzt.