Notwendiger Einspruch

Innere Sicherheit: Das in der taz veröffentlichte „Positionspapier“ von Ex-Innensenator Hartmuth Wrocklage sorgt für Debatten. Eine Antwort

Von Fritz Sack

Dieser Einspruch des früheren Senators Hartmuth Wrocklage in die Sicherheitspolitik der beiden großen Parteien ist so notwendig wie wohltuend. Ich selbst – als damaliges Mitglied der Hamburger Polizeikommission – habe heute noch im Ohr, wie der über Nacht neu installierte Nachfolger von Wrocklage, der damalige SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz, in Alsterdorf bei der jährlichen Polizeiveranstaltung im Jahre 2001 sein „tough on crime“ ins Mikrofon dröhnte, kundtat, keine „Beißhemmung“ gegenüber Kriminellen zu haben und auch noch die Bevölkerung zur Kooperation bei der Verbrecherjagd aufforderte. Dass er – und seine SPD – damit die Kriminalitätsangst in der Bevölkerung ungewollt mitschürten und für Schill den Boden seines 20-Prozent-Wahlerfolgs bereiten halfen, war eine Überlegung, die man offensichtlich dem dummen Wähler nicht zutraute.

Ein Lehrstück

Im Übrigen ist dieser Vorgang geradezu ein Lehrstück für einen Prozess, der sich in allen (post)modernen Gesellschaften beobachten lässt: Kriminal- und Sicherheitspolitik ist ein Politikfeld, das sich der parteipolitischen Differenzierung – bis hin zu den Grünen – weitgehend entzieht: nach dem Motto: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Opfer.“

Vor der Kriminalität und dem Strafrecht geht jede Partei in die Knie – und zur Polizei. Dass die CDU sich doch noch etwas von ihrem traditionellen „Law-and-Order“-Vorsprung verspricht, demonstriert sie derzeit an dem augenzwinkernden Umgang mit ihrem Sicherheits-Vormann Kusch.

Interessierte Legende

Auch kann man den Titel des taz-Berichts am Montag und Wrocklages These – „Mehr Polizei schafft nicht mehr Sicherheit“ – nur ganz dick unterstreichen, zur Budget-Entlastung ebenso wie zur Versachlichung wenigstens in der Wahrnehmung mancher Zeitungsleser (wenn auch nicht gerade in der politischen Arena). Einer der prominentesten amerikanischen Polizeiforscher bezeichnete schon vor Jahren als das bestgehütete Geheimnis der Gesellschaft in Fragen der öffentlichen Sicherheit die Tatsache, dass mehr Polizei – bei unveränderten Bedingungen – relativ wenig zur Verbesserung der Sicherheit beitragen könne.

Die Behauptung, dass der Rückgang der Kriminalität in New York auf die Politik der „Null Toleranz“ des früheren Polizeichefs W. Bratton zurückzuführen ist, ist längst als interessierte Legende entlarvt – pikanterweise selbst vom „Ghostwriter“ dieser Politik, dem Politikprofessor J. Q. Wilson.

Ungeliebte Kommission

Was die Bemerkung der taz zum „unbeliebten Pragmatiker“ angeht, dass Wrocklage „sich in seiner Amtszeit stets hinter fragwürdige Polizeipraktiken und eine rigide Abschiebepolitik stellte“, möchte ich einerseits feststellen, dass mir kein Innensenator oder Innenminister in der Bundesrepublik bekannt ist, der während seiner Amtszeit „seine“ Polizei gegenüber der Öffentlichkeit und den Medien nicht verteidigt hat (das unrühmlichste dieser Beispiele war wohl der „Persilschein“, den der damalige Berliner Innensenator Albertz am 2. Juni 1967 seiner Polizei ausstellte, als Benno Ohnesorg bereits einer tödlichen Polizeikugel erlegen war).

Anderseits muss ich aus meiner Erfahrung als Mitglied der Polizeikommission sagen, dass Wrocklage dieser von der Bürgerschaft eingesetzten Kommission stets fair und gesetzesloyal begegnet ist – ungeliebt wie sie war bei der Polizei einschließlich des damaligen Polizeipräsidenten, der den drei Mitgliedern der Kommission bei ihrem „Antrittsbesuch“ als erstes ihre Überflüssigkeit ins Gesicht sagte.

Demgegenüber hat Wrocklage einen beiderseitigen Interessenausgleich gesucht. Er hat sich allerdings auch nach Wahrnehmung der Polizeikommission mit seiner innovativen Reformpolitik nur wenig Freunde gemacht.