Bauer im globalen Schachspiel

In Stephen Gaghans „Syriana“ (Wettbewerb, außer Konkurrenz) eskalieren viele kleine Krisen in zwei Stunden – ein mitreißender Sog dank unglaublich verdichtetem Drehbuch

Der Vergleich von internationalem Drogenhandel und den Machenschaften der Ölindustrie ist eine provokante Hypothese, doch er liegt mit Stephen Gaghans neuem Film „Syriana“ auf der Hand. „Syriana“ und Steven Soderberghs „Traffic“, der nach dem Drehbuch Gaghans entstand, verfügen über eine ähnlich verschachtelte, diversifizierte Erzählstruktur, die verschiedene Handlungsstränge zusammenführt, ohne dass sich die einzelnen Figuren je begegnen.

Vier Personen stehen im Mittelpunkt von „Syriana“ (der Begriff beschreibt im amerikanischen Politjargon einen, natürlich nach westlichen Vorstellungen, umstrukturierten Nahen Osten): George Clooneys Bob Barnes, CIA-Nahost-Ausputzer; der Energieberater Bryan Woodman (Matt Damon); der aufstrebende Rechtsanwalt Bennett Holiday (Jeffrey Wright), der im Auftrag seiner Kanzlei die milliardenschwere Fusion zweier großer Ölkonzerne auf seine Rechtmäßigkeit untersuchen soll; und der reformistische Königssohn Mohammed Sheik Agiza (Amr Waked), der seine Ölquellen dem Einflussbereich der amerikanischen Konzerne zu entziehen plant. Eine weitere Seitenhandlung führt in den Iran, wo die amerikanische Ölpolitik zu einem Selbstmordattentat führt.

Dass jeder dieser isolierten Handlungsstränge weitreichende globale Konsequenzen nach sich zieht, spricht für Gaghans unglaublich verdichtetes Drehbuch. Wie er über die Eskalation vieler kleiner, persönlicher wie regionaler Krisenherde in etwas mehr als zwei Stunden eine globale Perspektive aufzuzeigen versucht, bringt natürlich Probleme mit sich – das Bild, das dabei entsteht, ist gleichzeitig viel zu kompliziert und immer noch allzu simpel –, doch das Letzte, was man Gaghan vorwerfen könnte, ist, es sich leicht gemacht zu haben. „Syriana“ entwickelt eine Sogkraft, der man sich kaum entziehen kann.

Die Dramaturgie von „Syriana“ hat etwas Aufputschendes. Die vielen Handlungsorte lösen sich in einem atemlosem Tempo ab; einzelne Szenen dauern oft kaum länger als eine Minute und entwickeln durch überlappende Dialoge eine zusätzlich versponnene Textur. Der Charakter Clooneys wird dabei zur exemplarischen Figur in diesem globalen Schachspiel: ein Bauer, den Drahtziehern der großen Verschwörung immer einen Zug hinterher; der schließlich mächtig gegen den Strom anzustrampeln versucht, als er realisiert, dass er selbst nur ein Spielball ist. In Clooneys Zottelbart und der Wampe, die er sich für den Film zugelegt hat, vermittelt sich auch die Unbeholfenheit und Verwundbarkeit seiner Figur; einer vom Schlag Bob Barnes hat in dieser komplizierten politischen Weltlage längst ausgedient.

Die Spielregeln des Weltmarktes zu hinterfragen erfordert einen moralfreien Standpunkt. Gaghan bewahrt hier einen kühlen Kopf. Dass die Amerikaner ihr Fett wegkriegen, liegt in der Natur der Dinge. Doch die wahre Schweinerei ist in „Syriana“ der inhärente Zynismus dieses marktwirtschaftlichen Selbstverständnisses. Kein Wunder, dass eine Ideologe wie Milton Friedman hier wieder herhalten muss: Korruption ist der Einfluss einer Regierung auf die wirtschaftlichen Geschicke in Form von Regulierung. Im Film kommt das noch deutlicher zur Sprache. „Korruption“, schreit einer der Verschwörer Bennett Holiday an, „ist unser Schutz. Korruption ist, was uns warm und behütet hält. Korruption ist, warum Sie und ich hier herumstolzieren, anstatt uns für ein Stück Fleisch auf der Straße die Köpfe einschlagen. Korruption ist, warum wir am Ende immer gewinnen.“ ANDREAS BUSCHE

„Syriana“. Regie: Stephen Gaghan. USA, 126 Min. 10. 2., 19.30 Uhr, Berlinale Palast; 11. 2., 12 und 18.30 Uhr, Urania; 12. 2., 20 Uhr, International