Rhetorik der Streikposten im Bundestag

Die Linkspartei will Franz Müntefering wegen der Rente mit 67 vorführen, verheddert sich aber in der eigenen Rhetorik. Der Arbeitsminister nennt Lafontaine die größte Ich-AG der Republik – und bietet wenig Konkretes gegen die Rentenkürzung

AUS BERLIN STEFAN REINECKE

Es war die Stunde der Populisten, von Oskar Lafontaine und Klaus Ernst. Die Linksfraktion versuchte mit der aktuellen Stunde zur Rente gestern im Bundestag vor allem Franz Müntefering zu treffen. Ein nahe liegendes Ziel: Münteferings geradezu leidenschaftliches Engagement für die Rente ab 67 trifft bei CSU und Industrie auf mehr Verständnis als bei der SPD-Basis. Es sollte eine Abrechnung mit der SPD werden – allerdings gelang sie nur halb.

Klaus Ernst griff die SPD mit krachender Rhetorik an. Die Rente mit 67 sei nichts als eine Rentenkürzung. Die Versprechen der SPD, so Ernst, hätten die „Haltbarkeit von Einwegunterwäsche“. Und überhaupt ähnele diese Regierung einer „Räuberbande“. Ernst, dessen Rhetorik stark an Streikposten erinnert, sorgte damit für Stimmung – ein paar Argumente, wie es mit der Rente weitergehen soll, hätten seiner ersten Rede im Bundestag allerdings nicht geschadet.

Oskar Lafontaine mühte sich um eine etwas angemessenere Mischung von Attacke und Argument. Er hielt Müntefering vor, die Erhöhung des Renteneintritts auf 67 Jahre bedeute faktisch, dass die Leute länger ALG II bekommen und kürzer Rente. Sein zentrales Argument lautete: Wichtig für die Rente ist nicht die Demografie, sondern die Produktivität der Wirtschaft. Damit war er bei seinem Lieblingsthema angekommen: der falschen Wirtschaftspolitik der SPD. Es sei schwachsinnig, die Wochen- und die Lebensarbeitszeit zu verlängern – und zudem etwa mit Ich-AGs sozialversicherungspflichtige Jobs zu minimieren.

Münteferings Konter war nahe liegend. Er folgte der Devise: Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht. „Oskar Lafontaine ist die größte Ich-AG, die ich je kennen gelernt habe.“ Das mochte die SPD-Fraktion für einen rhetorischen Volltreffer halten – inhaltlich zeigte Müntefering allerdings Schwächen. Denn auch Müntefering weiß, dass in Deutschland nur noch „42 Prozent der über 55-Jährigen arbeiten“. Wenn es aber keine Arbeit für Ältere gibt, deren Arbeitsplätze von den Unternehmen mit Vorliebe wegrationalisiert werden, ist die Erhöhung des Rentenalters in der Tat nichts als eine Rentenkürzung.

Münteferings Antwort auf dieses zentrale Problem fiel mehr als wolkig aus: Die Koalition arbeite daran. Altersgerechte Arbeit werde „sich schon finden“. Und Arbeitsplätze für Ältere irgendwie auch. Die Regierung werde mit „vernünftigen Unternehmen“ darüber reden. Wenn das mal hilft.

Die sachlich fundierteste Kritik an der Rente mit 67, die schrittweise ab 2013 eingeführt wird, entfaltete die grüne Irmingard Schewe-Gerigk. Der Linkspartei hielt sie nicht zu Unrecht vor, dass die Demografie keine Erfindung der Industrie sei und es ein echtes Problem der Rentenkasse ist, wenn die Rentner immer älter werden und die Beitragszahler immer weniger.

Müntefering hielt sie vor, er mache den zweiten Schritt vor dem ersten. Zuerst müsse man doch Mittel suchen, wie man mehr Arbeitsplätze für über 55-Jährige finden könne. Nur dann sei die Rente mit 67 vertretbar. Dass dies möglich ist, zeige Skandinavien, wo 70 Prozent der Älteren arbeiten. Auch bei Münteferings Argument, dass knapp die Hälfte der Arbeitnehmer auch künftig mit 65 in Rente gehen können, weil sie 45 Jahre Beiträge einbezahlt haben, traf Schewe-Gerigk den schwachen Punkt. Diese Regelung möge Dachdeckern nützen, Frauen, die kaum 45 Jahre durcharbeiten, würde sie sträflich vernachlässigen.

Fazit: Mit der Linkspartei gibt es einen neuen Ton im Bundestag. So wie Klaus Ernst reden viele an den Stammtischen der Republik. Dass dieser Ton auch im Bundestag zu hören ist, ist nicht schlecht. Denn er konterkariert den manchmal abgedichteten Reformdiskurs der Eliten. Was fehlte, waren ein paar Ideen, wie die Linkspartei die Löcher in der Rentenkasse stopfen will.