Amüsiermeile ohne Suff

ALKOHOLVERBOTSZONE Göttingen hat eine Verordnung gegen das Trinken in der Diskomeile erlassen, eine Klage wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen. Durchsetzen lässt sich das Verbot allerdings nur bedingt

„Will noch jemand Bier?“, kreischt die junge Frau ihren Freunden hinterher. Sie läuft die Straße hinab, kramt in einem Jutebeutel und kommt für kurze Zeit schwankend von der Ideallinie ab. Dann befördert sie das angebotene Getränk heraus und reckt es gen Himmel. Sie sollte das nicht tun. Es könnte sie bis zu 5.000 Euro kosten. Denn in Göttingens Nikolaistraße darf um diese Zeit niemand Alkohol trinken. Selbst die Absicht dazu reicht schon aus, um sich einer Ordnungswidrigkeit schuldig zu machen.

Die Straße zieht Leute an, weil es eine Disko, Kneipen, einen Kiosk und ein paar Schnellimbisse gibt. Das Alkoholverbot gilt von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag zwischen null und acht Uhr. Die Begründung liest sich unappetitlich: Glaubt man den Schilderungen, dann stritten und schlugen sich hier regelmäßig betrunkene junge Leute auf offener Straße. Sie wurden sexuell übergriffig oder entleerten schlicht ihre Mägen, Blasen oder Därme. Es hagelte Beschwerden der Anwohner, bis die Stadt Göttingen eine „Gefahrenabwehrverordnung zum Verbot des Alkoholkonsums auf der Straße“ erließ.

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat das Verbot für rechtens erklärt, nachdem ein betroffener Göttinger dagegen geklagt hatte. Zwar sei „der Alkoholkonsum als solcher auch in der Öffentlichkeit grundsätzlich rechtskonform“, die Schwelle zu einem „Verstoß gegen die Rechtsordnung“ sei allerdings überschritten, „wenn es durch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zu Straftaten, Ordnungswidrigkeiten, oder sonstigen Rechtsverstößen kommt“, so das Gericht. Das „Urinieren, Koten und Erbrechen im öffentlichen Raum“ sei eine Ordnungswidrigkeit; der Lärm der Feiernden gefährde zudem die „Unversehrtheit der Gesundheit“ der Anwohner, die ein Recht auf Nachtruhe hätten.

Seit das Verbot in Kraft ist, soll sich die Lage verändert haben: Laut Polizeistatistik gab es in den Sommermonaten 2012 nur noch sechs Körperverletzungen. 2011 waren es noch 26. Tatsächlich ist die Straße aber auch nach null Uhr keine alkoholfreie Zone. Fast jeder, der hier durchläuft, hat Bier oder Härteres in der Hand. „Das Verbot interessiert eigentlich niemanden“, sagt Tom Siegfried, der mit Wodka vor dem Kiosk steht. Ein Anwohner behauptet, Polizei und Ordnungsamt ließen sich nur blicken, wenn das Fernsehen da ist, um über die gut 220 Meter der Göttinger Innenstadt zu berichten. Die Polizei sieht das naturgemäß anders. Mindestens einmal am Wochenende werde kontrolliert, sagt eine Sprecherin.

Auch der angrenzende Nikolaikirchhof ist Verbotszone. In einem der Häuser, die den Platz säumen, wohnt Lars. Aus seinem Fenster fließt sanft chilliger Elektro in die Straße, mit ein paar Freunden hat er weiße Plastikstühle rausgestellt. Sie lassen den Schlauch einer schlanken Wasserpfeife kreisen und saugen parfümierten Tabakrauch aus dem Mundstück. Am Boden stehen Bierflaschen. „Die Regel ist blöd, aber kein richtiges Problem“, sagt Lars. Er und seine Freunde sitzen bist weit nach Mitternacht im Kirchhof, rauchen und trinken: „Ich hab’s erst einmal gesehen, dass die kontrollieren“, sagt er.

Christa Haase betreibt seit 55 Jahren die Bierecke Quick. Sie steht hinterm Tresen, zapft Göttinger Edel Pils und setzt einen musikalischen Kontrapunkt zum Elektro auf der Straße – aus ihren Boxen dröhnt Johnny Cash. Die 70-Jährige redet laut, weil Johnny Cash laut singt. Ihre Wohnung ist im selben Haus. Wenn sie die Kneipe dichtmacht, geht sie einfach hoch. Gegenüber habe es früher oft Schlägereien gegeben, sagt sie. „Ich bin wirklich nicht pingelig und ich höre auch schwer“, sie hebt die rechte Hand ans Ohr und formt sie zu einem Trichter. „Aber manchmal hat mich das schon verrückt gemacht.“

Liegt das nur am Alkoholverbot oder daran, dass gegenüber ein Club geschlossen wurde, der viele Minderjährige angezogen hat? Hört man sich in der Straße um, vermuten einige, dass das der wahre Grund für die Beruhigung in der Nikolaistraße ist. Auch ein Sprecher der Stadtverwaltung „will es nicht ausschließen“. Trotzdem: Das Alkoholverbot gilt vorerst bis Ende dieses Jahres und wahrscheinlich wird es danach um ein weiteres Jahr verlängert.  JAKOB EPLER