Nicht die Galerien überholen

Hubertus Gaßner, seit Anfang Februar Leiter der Hamburger Kunsthalle, hegt seine ganz eigenen Definitionen bezüglich dessen, was Mainstream ist. Und will folgerichtig tief ins 18. und 19. Jahrhundert schauen und Salons und Table Talks anbieten. Außerdem hegt er attraktive Umbaupläne

„Es gibt in der Kunsthalle bisher zu viele kleine Ausstellungen“„Wir wollen Jugendliche zum informellen Lernen animieren“

Interview: Petra Schellen

Er gilt als erfolgreicher Kurator, liebt die Gegenwart (fast) genauso wie das 18. Jahrhundert und würde die Kunsthalle am liebsten sofort umbauen: Hubertus Gaßner, vormals Leiter des Essener Folkwang-Museums, hat über russischen Konstruktivismus promoviert und war bereits an der Frankfurter Schirn sowie am Münchner Haus der Kunst tätig. In Essen macht er seit 2002 durch Schwindel erregende Besucherzahlen Furore. Das haben auch die Hamburger Kulturpolitiker gesehen und ihn darob in den Norden geholt. Seit Anfang Februar leitet er die Hamburger Kunsthalle.

taz: Ihr Vorgänger, Herr Schneede, hat die Kunsthalle besonders stark in puncto „Junge Kunst“ profiliert. Welchen Stellenwert werden Sie diesem Segment beimessen? Caspar David Friedrich, den Sie im Juni in Hamburg zeigen werden, ist ja nicht mehr ganz jung ...

Hubertus Gaßner: Das nicht, aber er markiert den Beginn der Moderne. Denn wir werden nicht den traditionellen Friedrich zeigen, sondern sein damals revolutionäres Bildverständnis. Enden wird die Schau mit vier Videos, die Friedrichs Bildmotive in Filmsequenzen überführen. Wir wollen zeigen, dass er all dies schon mitgedacht hat. Ich möchte aus der Kunstgeschichte die Facetten herausdestillieren, die heute wichtig sind. Für mich besteht da kein Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Die Gegenwart prägen aber die aktuell praktizierenden Künstler, denen die Reihe „Standpunkte“ gewidmet war. Was wird an deren Stelle treten?

Wir werden größere Ausstellungen mit Gegenwartskunst zeigen. Überhaupt wird es künftig weniger, dafür größere Präsentationen geben. Da wird die zeitgenössische Kunst nicht zu kurz kommen. Denn mein Herz schlägt für die Gegenwartskunst.

Warum schaffen Sie die „Standpunkte“ denn dann ab?

Weil es hier im Haus zu viele kleine Ausstellungen gibt. Und weil man für größere Schauen mehr Aufmerksamkeit, vielleicht auch eher finanzielle Mittel bekommt. Wir müssen international Aufsehen erregende Präsentationen anbieten, um zu überleben und auch, um experimentieren zu können.

Das klingt nach Mainstream. In Essen hat Ihre Cézanne-Schau riesige Besucherströme angezogen. Aber bringt man das Publikum mit solchen Themen auf den neuesten Stand?

Wenn die Ausstellung gut gemacht ist: ja. Das hängt von Auswahl und Inszenierung ab – und davon, was man aus dem historischen Material herausholt.

Finden Sie also, dass die Vergangenheit in deutschen Museen generell zu kurz kommt?

Nein. Aber die Museen sind nicht zuständig für den Mainstream. Das ist Sache der Kunstmessen und Galerien. Wir sollten nicht nach einer falsch verstandenen Aktualität streben. Manchmal scheinen die Museen die Galerien überholen zu wollen.

Wie wollen Sie die Galerie der Gegenwart denn künftig bespielen?

Da wird man so verfahren wie bisher – wenn uns die Räume aus ökonomischen Gründen erhalten bleiben.

Sie spielen auf das strukturelle Defizit von jährlich 500.000 Euro an. Hat die Kulturbehörde inzwischen zugesagt, diesen Betrag zu decken?

Noch nicht. Aber wir arbeiten an einer Lösung. Es gibt verschiedene Vorschläge, die wir prüfen werden. Denn es hat keinen Sinn, die Preise zu erhöhen, Räume zu schließen oder Aufsichtspersonal zu reduzieren. Das wäre kontraproduktiv. Wichtig ist die Erhöhung der Besucherzahlen.

Und da wollen Sie mit einer spektakulären Ausstellung den Anfang machen und die kleineren Museen mitziehen?

Die Kulturpolitik möchte, dass die Großen – Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe – die Kleinen retten. Da wir aber selbst kämpfen müssen, weiß ich noch nicht, wie das aussehen könnte. Wir sind jedoch zu jeder Kooperation zwischen den Museen gern bereit.

In welcher Form werden Sie künftig Hamburger Kunst präsentieren? Derzeit gibt es hierfür ja den „Hamburger Gang“ im Erdgeschoss.

Ich bin nicht sehr glücklich mit dieser regionalistischen Lösung. Ich möchte Hamburger Kunst ausstellen, aber in internationalen Zusammenhängen. Es nützt der aktuellen Kunst in Hamburg wenig, wenn man eine separate Kammer für sie bereitstellt. Andererseits wird dieses Haus auch deshalb von vielen akzeptiert, weil es Hamburger Kunst besonders pflegt. Wenn dies aber ein Ruhekissen wird für Künstler, die darauf rechnen können, dass sie irgendwann mal dran sind – das nimmt die Frische.

Der Hamburger Gang wird also abgeschafft?

Das kann ich so definitiv noch nicht sagen; ich werde es mit den Kollegen besprechen. Den Schwerpunkt „Hamburger Kunst“ werden wir aber in irgendeiner Form beibehalten.

Werden Sie Sonderausstellungen weiterhin im 2004 eröffneten Hubertus-Wald-Forum zeigen? Man munkelt, dass Sie das verlagern wollen.

Das Forum wird zentraler Ausstellungsort bleiben. Aber wir überlegen, ob es in der Kunsthalle ein zusätzliches Kompartiment für größere Ausstellungen geben könnte. Die Caspar-David-Friedrich-Schau etwa werde ich in den renovierten Räumen des Altbaus zeigen. Außerdem möchte ich die Haupteingangszone gern zwischen die Galerie der Gegenwart und den Altbau verlegen. Auch über die jetzt von Skatern genutzte Plattform dort ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Dieser Platz muss ja keine Freifläche bleiben.

Was schwebt Ihnen da vor?

Das sind noch Wunschträume. Ein Raum für öffentliche Veranstaltungen – mit Restaurant, Café, Vortragsräumen, vielleicht einem ‚Salon‘ mit Blick auf die Innen- und Außenalster. Wir müssen unseren hervorragenden Standort in der Stadt nutzen. Und wenn diese Räume bis 22 oder 24 Uhr geöffnet sind, gewinnt man vielleicht neue Besucher für die Kunsthalle.

Sie glauben also, dass sich die absolute Zahl der Kunstinteressenten erhöhen lässt?

Ja. Entscheidend ist, dass wir die Jugendlichen gewinnen, und zwar nicht nur durch pädagogische Maßnahmen, sondern auch durch freiwillige Besuche. Es gibt ja schon „Kunst meets Kommilitonen“, aber zusätzlich wünsche ich mir Dinge, die weniger pädagogisch motiviert sind. Die die Besucher zum Flanieren einladen und so einem „informellen Lernen“ und der „zerstreuten Aufmerksamkeit“ Vorschub leisten.

... wobei das Wort „zerstreut“ den Kunsthistoriker ja nicht so freut.

Ich weiß. Aber daran werden wir uns gewöhnen müssen. Heute herrschen andere Wahrnehmungsgewohnheiten als vor 20 Jahren. Heute wird eben gezappt, und das Bild muss sich bewegen. Und obwohl das Museum ein Gehäuse für statische Bilder ist, müssen wir den Menschen vermitteln: Es lohnt sich, auch unbewegte Bilder lange und intensiv zu betrachten.

Welche Methoden könnten da greifen?

Ich möchte, dass Bilder wieder Anlass für Gespräche werden, wie es während der Aufklärung der Fall war. Daher stelle ich mir unter anderem so genannte Table Talks vor.