„Beides sind „Geliebte“

Kultursenator Jörg Kastendiek (CDU) über seine Ämter, Absichten und Ansprüche: „Von Warteschleifen kann überhaupt keine Rede sein“

Seit Mai 2005 führt Jörg Kastendiek die Ressorts für Wirtschaft/Häfen und Kultur. Rein rechnerisch hat der frühere CDU-Fraktionschef damit die seit 1999 bei durchschnittlich sechseinhalb Monaten liegende Halbwertszeit eines Bremer Kultursenators bereits deutlich überschritten. Nichtsdestotrotz trafen wir, bei frischem Pfefferminztee, einen energischen und gut gelaunten Amtsträger.

taz: Herr Kastendiek, wie sehr sind Sie Wirtschafts- und wie sehr Kultursenator?

Jörg Kastendiek: Ich bin beides sehr intensiv.

Tschechov hat gesagt, seine Profession als Arzt sei seine Gattin, die Schriftstellerei die Geliebte. Wie ist das bei Ihnen?

Beides sind Geliebte.

Ganz konkret: Wie viel Zeit hat ein Wirtschafts- und Häfensenator für Kultur?

Das ist tatsächlich fifty-fifty. Was natürlich voraussetzt, dass ich eine 60- bis 80-Stunden-Wochen mache.

Gehen Sie zurzeit gern ins Bremer Theater?

Es bleibt insgesamt nur sehr wenig Zeit, um Veranstaltungen wahrzunehmen. Ich bin ja kein Theatersenator, sondern für die gesamte Kultur zuständig.

Trotzdem: Welche Produktion haben Sie zuletzt gesehen?

„Inferno.“

Das passt ja ganz gut: Vier Monate nach Amtstritt haben Sie mit der Suspendierung des Verwaltungsdirektors des Theaters einen Paukenschlag gesetzt. War das auch eine Art Demonstration nach dem Motto: Jetzt wird „durchregiert“?

Herr Dünnwald ist definitiv nicht das Opfer einer Machtdemonstration geworden. Es gab Vorgänge, auf die ich jetzt aber nicht näher eingehen will, die das notwendig gemacht haben.

Bei allen Fehlern, die im Theater vermutlich gemacht wurden, war die Institution in ihrer Gesamtheit einer wochenlangen Schlammschlacht ausgesetzt. Viele Bremer Medien schwadronierten von grotesken Überkapazitäten im Technik- und Werkstattbereich oder machten den völlig absurden Vorschlag, die dringend notwendige Erhöhung des Eigenkapitals solle von den MitarbeiterInnen selbst aufgebracht werden. Kurz: Wäre es nicht Ihre Aufgabe gewesen, das Theater gegenüber einseitigen Schuldzuweisungen in Schutz zu nehmen?

Dieser Vorwurf ist nicht haltbar, wenn Sie unsere Pressemitteilungen aus dieser Zeit anschauen. Aber wir wollen jetzt keine Vergangenheitsbewältigung mehr betreiben.

Man kann aber den Eindruck haben, dass die Finanzprobleme des Theaters genutzt wurden, um Tarifverhandlungen nachzuholen.

Das ist definitiv nicht der Fall. Diese Unterstellung ist schon deswegen falsch, weil mit dem Auslaufen des Notlagen-Tarifvertrages das alte Tarifrecht automatisch wieder in Kraft tritt.

Sie wollen also den Zuschuss nicht kürzen?

Nein. Der Haushalts-Ansatz ist noch derselbe, der im Sommer der Kulturdeputation vorlag: 23,7 Millionen Euro 2006 und 23,3 Millionen in 2007. Wir werden keine betriebsbedingten Kündigungen vornehmen.

Und was ist mit frei werdenden Stellen?

Ob und wie man die natürliche Fluktuation nutzt, ist natürlich schon Gegenstand der Überlegungen.

Besteht noch ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Ihnen und der Theaterführung?

Der neue kaufmännische Geschäftsführer gibt mir ein sehr gutes Gefühl hinsichtlich der Zahlen. Und Herr Pierwoß [der Generalintendant] hat noch anderthalb Jahre, in denen wir alles tun, damit er im geplanten Rahmen arbeiten kann.

Eine vergleichbare Baustelle ist die Reform Ihrer eigenen Verwaltung. Warum wird die seit langer Zeit vakante fachliche Leitung der Kulturabteilung nicht besetzt?

Weil es noch keine Einigung zwischen Amtsleitung und Personalrat über die Strukturierung der Behörde gegeben hat.

Aber die Leitungsstelle war bereits vor anderthalb Jahren ausgeschrieben!

Der Feststellung, dass der Prozess lange dauert, würde ich nicht widersprechen. Aber Ende des Monats wollen wir als Grundpositionen vereinbaren, dass es zwei Abteilungen gibt: Eine allgemeine, in die unter anderem die Kompetenzen der früheren kmb [„Kultur Management Bremen“] einfließen, und eine fachliche. Wir konnten gerade das Missverständnis ausräumen, dass letztere nicht mehr für die Ressourcenverteilung zuständig sein solle.

Apropos Geld: In der Kulturszene gibt es Frustration, weil der gemeinsam erarbeitete „Masterplan für die Kulturentwicklung“ mit seiner Betonung der Notwendigkeit von freien Projektmitteln lediglich dazu benutzt würde, eine allgemeine Kürzungsquote durchzusetzen. Verstehen Sie diese Kritik?

Nein, schließlich hätte es auch ohne Masterplan Kürzungen gegeben. Wir müssen jetzt Wege finden, um beidem gerecht zu werden: Der Projektförderung und der institutionellen Absicherung.

Anders gefragt: Kaum wird festgeschrieben, zwischen institutioneller und Projektförderung zu unterscheiden, nimmt man die restlichen Kulturhauptstadt-Gelder, um Etatlücken zu stopfen. Ist das nicht eine Bankrotterklärung?

Von Etatlücken kann keine Rede sein. Wir haben mit dem Geld etliche Projekte auf den Weg gebracht, aber auch die Eigenkapitalausstattung etwa des Theaters erhöht. Das war auch richtig so, sonst hätten wir das Geld ja wieder beim Finanzsenator abgeben müssen. Beim Masterplan, der im April zur abschließenden Lesung in die Kulturdeputation kommt, geht es um die grundsätzliche Überprüfung von Ansprüchen und Zielen.

Der Anbau der Kunsthalle ist kulturpolitisches Dauerthema, seit September 2005 liegt der jury-gekürte Entwurf dafür vor. Das notwendige Geld jedoch steht nach wie vor auf keiner Investitionsliste. Wie lange kann man mit solchen Entscheidungen warten?

Erstmal muss man rechnen. Die Argumente des Kunstvereins für den Anbau sind nachvollziehbar, aber bevor nicht alle Zahlen vorliegen, kann man nichts entscheiden.

Die „Stadtwerkstatt“ hängt ebenfalls in der Warteschleife. Ist es sinnvoll, solche Initiativen einfach auszusitzen?

Man kann den Prozess der Kulturhauptstadt-Bewerbung nicht einfach eins zu eins weiterführen. Aber ich stehe durchaus hinter dem Konzept der Stadtwerkstatt, weil wir neue Projekte auf den Weg bringen müssen – ohne deswegen woanders zu kürzen. Von daher kann von Warteschleifen überhaupt nicht die Rede sein.

Sie brauchen ja auch noch einen Theaterchef und einen Dirigenten. Wann lassen Sie die Katze beziehungsweise den Generalintendanten endlich aus dem Sack?

Der Intendant soll bis Ende März feststehen, der Generalmusikdirektor im zweiten Quartal. Zurzeit laufen die Probedirigate.

Sie sind der erste Kultursenator, der aus Bremen-Nord stammt. Werden Sie auch der erste sein, der die seit langen Jahren schwelenden Probleme von und zwischen Kito, Kuba und Bürgerhaus löst?

Frau Kahrs stammt auch aus Nord, aber zu ihrer Amtszeit waren die Konflikte noch nicht so virulent. Wir arbeiten daran, die kulturellen Profile der Einrichtungen zu erhalten, wobei man gewisse technische und logistische Teile zusammenlegen muss. Im Übrigen ist die kulturelle Vielfalt in Bremen-Nord noch wesentlich größer, denken Sie beispielsweise nur an die Overbeck-Stiftung.

An welchem Maßstab wollen Sie am Ende Ihrer Amtszeit gemessen werden?

Ich hoffe, dass dann viele der schon seit langem im Kulturbereich anstehenden Probleme gelöst sein werden. Mit dem neuen Standort für die Volkshochschule oder dem „4+2+1“-Konzept für die Bibliotheken haben wir schon gute Anfänge gemacht.

Interview: Friederike Gräff, Henning Bleyl