Der Leibhaftige

Wolfgang Clement ist so etwas wie der Gottseibeiuns der SPD. Der Mann, der die Sozialdemokraten immer wieder daran erinnert, dass sie mal so etwas wie die Agenda 2010 beschlossen haben, die sie 2005 das Kanzleramt und Clement den Posten als Bundeswirtschaftsminister gekostet hat. Und der ihnen – anders als der Gazprom-Gerd – ermöglicht, die Verantwortung für diese Zeit auf jemanden abzuschieben, den sie für keinen richtigen Sozialdemokraten halten müssen. Clement trat nach einem gewonnenen Parteiausschlussverfahren 2008 aus der SPD aus – und unterstützte vor der Bundestagswahl 2009 Guido Westerwelle.

Clement ist Überzeugungstäter, kein Mitläufer. Keiner, der seine Positionen abgegeben hat, als der Zeitgeist wieder nach links schwenkte. 2012 wurde er Vorsitzender des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), der wichtigsten Lobbyorganisation für neoliberale Reformen. Am Dienstag stellte die INSM eine neue Studie zur Rente vor. Tenor: Die Rente mit 69 könnte „einen deutlichen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des Rentensystems leisten“.

Clement selbst sprach davon, dass das „Renteneintrittsalter kontinuierlich an die weiter steigende Lebenserwartung angepasst werden“ sollte. So könne „ein Teil der hinzugewonnenen Jahre aktiv am Arbeitsmarkt verbracht“ werden: „Viele der Älteren wollen das auch so.“ Clement selbst wird in zwei Wochen 73. Er sitzt im Aufsichtsrat der börsennotierten Deutsche Wohnen AG, der RWE Power AG, im Beirat von Rudi Scharpings Beratungsfirma. Clement wirkt, als er hätte er sich – biografisch wie politisch – Oliver Kahns Motto „Weiter, immer weiter“ zu eigen gemacht. Aber ob ihm, anders als dem Bayern-Torhüter damals gegen den HSV, heute noch jemand folgen will? MARTIN REEH