Zwischen Schuld und Täuschung

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Die Protagonisten in Susanne Fischers „Die Platzanweiserin“ entkommen nicht jenem Sog, der mal Selbstzerstörung, mal erfrischtes Leben bedeutet. Eine Präsentation im Polittbüro

Drei Häuser markieren das erzählerische Gelände des neuen Romans Die Platzanweiserin von Susanne Fischer, den sie jetzt im Polittbüro vorstellen wird. Dazwischen bewegt sich eine Handvoll Menschen: Haltlos wirken sie, willkürlich trägt sie ein Cabrio durch die Nacht oder einen Tag ohne zeitliche Konturen. Das ist ein gelungener, atmosphärisch dichter Rahmen, um von einigen zu erzählen, die unbehaust sind und keine tauglichen Lebenspläne vorzuweisen haben.

Da ist Christina, die Ich-Erzählerin. Die Mittdreißigerin wohnt in einem Hamburger Mietkasten und hat sich darin eingerichtet, „die wichtigen Sachen nur von fern zu sehen“. Das ist der „Deal“, der das Leben unwirklich, aber sicher macht. Mit Max, dem Jungen von gegenüber, zieht sie durch Straßen und durch Häuser, die zum Verkauf stehen. Sie hat ein besonderes Gespür für die Ausstrahlung der Gebäude. Und Max, von seiner überforderten Mutter vernachlässigt, liebt es, darin nach totem Kleingetier zu suchen.

Über ein solches Haus stößt Christina auf Thomas. Er ist ein Gesicht aus Jugendzeiten, seine Gegenwart weckt wunde Erinnerungen: An Tamara, eine Außenseiterin aus „schwierigen“ Verhältnissen, die dann doch Christinas Freundin wurde – weil sie den Todestag in Stammheim als „traurigsten Tag des Jahrzehnts“ ausrief. Und dann – von den sozialen Verhältnissen zurechtgestutzt – 17-jährig und schwanger aus dem Dorf verschwand. Als vierfache Mutter, glücklos und trotzig, taucht sie in der Erzählgegenwart wieder auf.

Wer verschwunden bleibt, ist Rita, Thomas‘ Schwester. Ihr Fortgehen vor zehn Jahren ohne ein Zeichen hat ihn aus jeglicher Normalität herauskatapultiert. Teure Uhr und Cabrio sind Insignien einer Existenz, die er als umtriebiger Makler nur vortäuscht: Er ist besessen von der Suche nach seiner Schwester. Christina nimmt er mit auf seine selbstzerstörerischen Trips.

Peu à peu knüpft Fischer dieses Netz und beschleunigt die Dynamik der Handlung. Meint man zunächst, es mit den Ich-Bespiegelungen einer weiteren etwas verschrobenen Frauenfigur zu tun zu haben, so findet man sich unversehens in einer gekonnt verschachtelten Geschichte wieder. Erinnerung und Schuld, verworfene Lebensideen und Selbsttäuschung – all das sind Themen. Sie offenbaren sich in den Handlungen der Figuren, ihrem Schlingern, ihren abrupt ausgestoßenen Worten. Nicht zuletzt die zwischen Verletzbarkeit und ironischer Distanz schwankende Ich-Erzählerin verhindert eine Überladung der Geschichte.

Am Ende feiern sie alle ein groteskes Fest in einem einsturzgefährdeten Haus. Das erlöst niemanden, aber zumindest für Christina ist das Leben wieder näher gerückt. Carola Ebeling

Susanne Fischer: Die Platzanweiserin. Frankfurt/M. 2006, 191 S., 17,90 Euro. Buchpremiere: Di, 14.2., 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45