„Es geht um Umschwung“

FUKUSHIMA Seit der Reaktor-Katastrophe 2011 protestieren junge JapanerInnen gegen Atomkraft

■ 25, Regisseurin von „Radioactivist“, studiert Politikwissenschaften und Japanologie an der Uni Leipzig.

taz: Frau Leser, rütteln die Anti-Atom-Demos am Klischee von den zurückhaltenden Japanern?

Julia Leser: Während der Katastrophe war ich in Japan und habe die deutsche Berichterstattung verfolgt, in der die Japaner als diszipliniert und obrigkeitshörig dargestellt wurden. Auf der anderen Seite habe ich in Tokio gesehen, wie die Leute auf die Straße gegangen sind und demonstriert haben. In den deutschen Medien wurde das nicht thematisiert. Das war der Anlass für den Film: Er soll deutlich machen, dass es nicht in der Natur der Japaner liegt, ruhig und diszipliniert zu sein – sondern, dass sie Protestpotenzial haben.

Wie sind die Demonstranten organisiert?

In den ersten Wochen und Monaten waren hauptsächlich kleine Gruppen politisch aktiv. Im Sommer 2012 hat sich daraus eine große Protestbewegung organisiert. Neue Gruppen haben sich gegründet. Mittlerweile ist daraus eine sehr vernetzte und strukturierte Bewegung geworden, die versucht, die Politik zu beeinflussen. Die Gründung einer Grünen Partei steht schon auf dem Programm.

Gab es vor Fukushima nie Bedenken?

Es gab immer Aktivisten gegen Atombomben und Atomkraftwerke. Vor allem seit Hiroshima und Nagasaki. Zwischenzeitlich ist das aber aus dem Fokus geraten. Es wurde in der Gesellschaft nicht so stark thematisiert.

Woran liegt das?

Atomkraft ist für Japan eine Lösung, sich mit Energie selbst zu versorgen und nicht auf dem Import von Energie angewiesen zu sein. Dementsprechend wird sie von der Politik und den Medien positiv dargestellt.

Wie unterscheidet sich die Anti-AKW-Bewegung in Japan von der in Deutschland?

Sie unterscheiden sich darin, wie sie im Parlament vertreten wird: In Deutschland sind die Stimmen der Aktivisten vor allem durch die Grünen vertreten, die den Ausstieg vorangetrieben haben. In Japan fehlt das.

Kann aus der Bewegung eine Protestbewegung wie in der Türkei werden?

Der Protest in Japan richtet sich nicht gegen den Ministerpräsidenten. Es geht um einen gesellschaftlichen Umschwung. Daher ist es schwer zu sagen, wie sich die Bewegung weiterentwickelt. Im Moment hat diese Bewegung den Ansporn den Ausstieg aus der Atomkraft in der Regierung durchzusetzen. INTERVIEW: ROSI KATHRI

Doku „Radioactivists – Proteste in Japan seit Fukushima“: 19:30 Uhr, Lichtmess-Kino, Gaußstr. 25