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Archiv-Artikel

Die Tingeltangelträumerin

Mit ihren 62 Jahren will es die „Cabaret“-Künstlerin Liza Minnelli noch einmal wissen – und kommt wieder auf Tournee, mit einem gut abgehangenen Programm ihrer größten Hits. Vielleicht die letzte Gelegenheit, die Ikone aller selbstbestimmten Solokünstlerinnen auf der Bühne zu erleben

VON JAN FEDDERSEN

Es war Ende der Siebziger, ihre Karriere schien den Zenit überschritten zu haben, da gab sie in New York ein Konzert in der Carnegie Hall. Hinterher schrieben Blätter wie die New York Post, sie sei nun wirklich unerträglich geworden. Ihre Gesten – immer die gleichen; ihre Lieder – ein oldiehaftes Sammelsurium; ihr Repertoire überhaupt – ohne künstlerische Ambition auch nur von vorgestern. Die Frau, die da kalt abgetan wurde, bekam die Chance zur Verteidigung. Was sie denn von Kritikern halte, wurde sie gefragt. „Es sind ja auch nur Menschen“, sagte sie, „aber im Gegensatz zu mir, die sich auf einen Abend, auf ein Konzert vorbereiten, tage- und wochenlang, gehen die in die Show, haben vielleicht schlechte Laune und schreiben sich die von der Seele. Hinterher gehen sie nach Hause, zu Frau und Kindern, und haben ihren Job gemacht.“

Und sie? Liza Minnelli? Versucht, sich den Ärger über derlei Ignoranz nicht anmerken zu lassen. Jedenfalls tourt sie immer noch. Ihr Kritiker und sie selbst redeten offenbar aneinander vorbei. Während die Minnelli machte, was sie für einen professionellen Job hielt, achtete der Rezensent – kunstreligiös, wie es sich für seinen Berufsstand geziemt – auf Neuigkeiten. Die allerdings hat die Minnelli nur dann zu bieten, wenn sie sich ergeben, umständehalber meist vor der Produktion neuer Platten: Wie Mitte der Achtziger beispielsweise, als sie sich von den Pet Shop Boys ein Album schneidern ließ: „Losing My Mind“, „Love Pains“ oder „Twist In My Sobriety“ polierte sie zu zeitgenössisch akzeptablen Perlen. Da war ihr Berufsverständnis wieder sichtbar: das Publikum, auf das es ankommt, nicht auf Kunst, nie überfordern. Ihm geben, was es will. Dafür bezahlt es, das will es haben, nur dies kann es sein, was zählt.

Also sagte Liza Minnelli neulich in einem Interview mit der Illustrierten Du & Ich, sie werde „selbstverständlich“ auf ihrer Tour durch Europa alles singen, was man von ihr erwartet. „Cabaret“, „New York, New York“, „Chicago“, „May Be This Time“ oder „Money“.

Dass die meisten ihrer Songs aus den Siebzigern stammen – na und? Damals wurde sie berühmt, ein Weltstar mit einem Film samt familiärem Hintergrund, der ihrem Weg gelegentlich im Wege stand. 1971 war es, da bewarb sie sich um eine Musicalrolle. Sie wollte in „Cabaret“ die Sally Bowles am Broadway spielen. Die Autoren entschieden sich für eine andere; Ms. Minnelli fehle es am richtigen britischen Akzent.

Bob Fosse, ein junger Filmregisseur, bereitete zur gleichen Zeit die Filmfassung vor. Er kannte sie über ihre Eltern – die längst heiligen Hollywood-Berühmtheiten Judy Garland und Vincente Minnelli. Und deren Tochter bekam die Rolle; an der Seite von Michael Yorck, Joel Grey, Fritz Wepper und Marisa Berenson war sie die Attraktion des Films. Bei der Oscar-Verleihung stach diese Produktion den „Paten“ aus – und Liza Minnelli alle Konkurrentinnen um den Solistinnenpreis. Und wie er verdient war!

Die Geschichte, basierend auf den Erinnerungen Christopher Isherwoods an das aufgewühlte Berlin am Ende der Weimarer Republik, gefiel auch den Kinobesuchern: Eine Tingeltangelkünstlerin namens Sally Bowles als Teil eines Bohème-, Kleinbürger- und Nazikosmos – das politische Desaster glattweg nicht im Auge haben wollend, die Abend für Abend auf der Bühne steht: „Life is a cabarat, ol’ chum, so come to the cabaret“. Ein, wenn man es in Deutschland hätte so sehen wollen, erhellender Zweistundenspot über den Zeitgeist im Deutschland jener Jahre. Einerseits die Künstlerszene, andererseits die braunen Menetekel, die in fast jeder Szene kenntlich werden – und die Entertainer dieses Kabaretts, die sich einfach nicht vorstellen konnten, dass die Völkischen ihr antijüdisches Reinlichkeitsprogramm auch durchsetzen würden. Das ist der Film „Cabaret“ – und Liza Minnelli seine Verkörperung. Eine, von dem sie seither lebt.

Liza – das war mit diesem Film nicht mehr die begabte Tochter der Garland und des Regisseurs Minnelli, das war sie selbst. Eine Stimme, die sofort wiedererkennbar war; außerdem stupendes handwerkliches Vermögen auf der Bühne – und eine Präsenz auf ihr, wie sie nicht einmal eine Streisand oder eben ihre Mutter, die mächtige Ms. Garland, attestiert bekamen: Die Minnelli, das war New Yorker Entertainment, wie es besser nicht ging.

An ihr orientierten sich plötzlich alle – und sei es in Deutschland eine wie Ute Lemper, die, das macht die Minnelli eigentlich nur noch glanzvoller, gewiss so gut tanzen und singen kann wie die Amerikanerin. Letztere aber, allen Alkohol- und Tablettensuchtkrisen zum Trotz, wirkt eben nicht wie eine Ingenieurin des richtigen Beinschwungs, der Handbewegung auf den Takt und des perfekten Tons im Einklang mit dem Sound aus dem Orchestergraben.

Die Minnelli, das war eben die Sally Bowles, aber auf Weltniveau. Die ihre Arme beim Liedfinale siegestrunken, die Niederlage abgewendet, wie ein Phönix aus allen Aschen zur Höhe reckt und anzeigt: Ich bin die Frau, die es über die schäbigen Nachtklubs des Weimarer Berlin hinaus geschafft hat – und wie!

„Von meiner Mama habe ich meinen Schwung, von meinem Vater den Traum, es zu schaffen“, sagte sie jüngst in New York.

Und zu ihrem künstlerischen Rezept: „Auf der Bühne wollen die Menschen etwas erleben, was sie entrückt. Die Realität ist etwas, über das man sich dann erheben möchte.“ Schließlich über die Gründe, weiterzumachen, immerhin über 60 Jahre alt: „Ich habe das Gefühl, dass mir noch etwas bevorsteht. Möglichkeiten, von denen ich noch keine Ahnung habe, dass ich sie nutzen könnte.“

Vielleicht sind in diesen Aussagen jene Körnchen Anbetungspotenzial gefangen, die ihre Konzerte früh ausverkauft sein lassen – auch wenn sie in Berlin nur noch für den Friedrichstadtpalast gebucht wurde, nicht mehr für Säle, in denen mehr Publikum Platz fände.

Die Minnelli: Ein Showmonument der Unverwüstlichkeit, deren Lebensgeschichte zum Showprofil passt – welch ästhetischer Triumph. Sally Bowles ist Liza Minnelli ist Sally Bowles: ein Lebensroman einer Frau, die sich auf keinen Fall festlegen mag, die eigentlich keinen Ernährer sucht, sondern höchstens einen interessanten Gefährten, die Sex als Flüchtigkeit nimmt – und möglicherweise deshalb von Schwulen verehrt (und in Travestieshows gern kopiert) wird. Immer noch hat, der Klatschpresse zufolge, die Minnelli eine Scheidungsklage ihres Ex (des wievielten auch immer) am Hals, der sie obendrein wegen psychischer Torturen verklagt. Man hört es und denkt: Tja, so sind die Minnellis dieser Welt, nicht so übel im Überlebenskampf, im Gegenteil, nötigenfalls auch gegen die angeheirateten Männer, die die Liebesversprechen von den guten und schlechten Zeiten meist allzu wörtlich nahmen.

Neulich, in der Talkshow „Beckmann“, saß sie mit Fritz Wepper, über alte Zeiten plaudernd. Ihre Stimme ist ziemlich dunkel geworden, ihre Artikulation etwas schleppend, Folgen einer Hirnhautentzündung, die sie sich vor wenigen Jahren zuzog. Sie sagte, sie werde alles geben, wie immer, auf der Bühne.

Im Leben allerdings sei sie so langweilig oder aufregend wie alle Menschen.

Und die ganzen Geschichten über sie, die Nachreden, üble oder gute? „Ich kümmere mich nicht drum. Wenn man oben auf der Bühne steht und Erfolg hat, muss man sich mit Schlagzeilen arrangieren.“ Sie sei glücklich, nach ihren Operationen, bei denen eine künstliche Hüfte eingebaut bekam, wieder tanzen zu können: „Ich meine, wenn mir das nicht mehr möglich wäre, müsste ich ernsthaft unglücklich sein. Aber ich muss es nicht.“

Die Minnelli hat ihre Mutter überlebt, hat ihr ein eigenes Signum entgegengesetzt, hat dem Vater gezeigt, wie brav und eisern zugleich man einen Traum verfolgen kann – und all den anderen Frauen, die nun allein auf der Bühne und ihre Frau stehen, Madonna allen voran, gezeigt, wie das geht: Die eigene Lebensspur so zu setzen, dass die Männer ihr folgen wollen – nicht umgekehrt.