MASSEN BEI DER FÊTE DE LA MUSIQUE, DER HEINER-MÜLLER-EFFEKT, MARTIN LUTHER KING, HIPHOP MIT HAFTBEFEHL IM BI NUU UND LETZTLICH EINE GEWALTDISKUSSION
: Ein bisschen Rebellion muss sein

VON JURI STERNBURG

Es sollte theoretisch nur ein ganz kleiner Abstecher werden. Und wir reden hier nicht von der Familienplanung eines Messer-Virtuosen. Die Fête de la Musique ist ja an und für sich eine lobens- und unterstützenswerte Veranstaltung, an jeder Ecke spielen unbekannte bis theoretisch nicht existierende Bands, es gibt kühle Drinks und gutes Essen, die Stimmung ist meist friedlich, alles wunderbare Dinge, die vollkommen im Sinne des Schreiberlings sind.

Wenn da diese Menschen nicht wären. Beziehungsweise die Masse der Menschen. Wo die New-Yorker-Spießer-Serie „How I met your Mother“ den sogenannten Cheerleader-Effekt ausmacht, welcher dem größtenteils leicht dümmlichen Zielpublikum begreiflich machen soll, dass eine Gruppe Frauen immer attraktiv und anziehend auf den Durchschnitts-Aufreißer wirkt, weil man den Überblick verliert, da beginnt bei mir eher der sogenannte Heiner-Müller-Effekt. Selbiger sagte einst: „Zehn Deutsche sind natürlich dümmer als fünf Deutsche“, und er hatte durchaus recht. Da hilft es auch nichts, wenn bei der Fête de la Musique auf zehn Besucher sechs Touristen kommen, gezähmte Herdentiere waren schon immer von einem Wachhund abhängig.

Mein Gemecker kam nicht besonders gut an. Immerhin hatten wir Backstage-Bändchen für die Modeselektor-Bühne im Mauerpark. Es gab Burger und Wodka-Energy-Gedöns umsonst, da will man doch nicht über die grundsätzliche Ablehnung von Massenevents diskutieren. Und wie sagte mein guter Freund Martin Luther King einst: „Um Feinde zu haben, muss man keinem den Krieg erklären. Es reicht, wenn man sagt, was man denkt.“

Der unzulässige Umkehrschluss, dass es, um Freunde zu haben, schlichtweg reicht, die Fresse zu halten, wird von mir nicht akzeptiert. Ein bisschen Rebellion muss sein, born to be wild und so. Dank des spendierfreudigen Getränkeherstellers schaffte ich es allerdings relativ schnell, mich in einen Zustand der Gleichgültigkeit zu manövrieren, ich wollte ja eh nur kurz bleiben, immerhin stand am nächsten Tag das Haftbefehl-Konzert im Kreuzberger Bi Nuu an.

Nachdem ich vor zwei Wochen bereits über das Konzert der Haftbefehl-Zöglinge Celo & Abdi geschrieben habe, erspare ich mir nun die Lobhudelei, Haftbefehl betreffend (Baba Haft ist übrigens mein Lieblingsrapper zurzeit, nur falls es noch keiner mitbekommen hat), und sag einfach nur: Großes Kino, Hafti! Als Zuschauer wird einem ja öfter mal von dem Künstler auf der Bühne bestätigt, dass man Teil „des besten Publikums“ sei, in diesem Fall kann ich jedoch bestätigen: Ja, das waren wir wirklich.

Als ich wieder einigermaßen nüchtern wurde, saßen wir im Kater Holzig in der prallen Sonne und diskutierten über Sozialarbeiter. Das Kater Holzig ist ein idealer Ort für derlei überflüssige Diskussionen, schließlich geht es hier darum, Rauschmittel zu konsumieren und sich zwielichtigem Hedonismus hinzugeben, um das Ganze dann als politischen Freiraum zu verkaufen. Mein Standpunkt, dass der Beruf des Sozialarbeiters schlimmer als der des Diktators sei, da es die einzige Aufgabe des Sozialarbeiters wäre, wütende Jugendliche, die Haftbefehl hören, zu befrieden, damit sie nicht alles kaputthauen, war wahrscheinlich dem Alkohol geschuldet und wurde in der Luft zerpflückt. Höchstwahrscheinlich zu Recht, was allerdings mehr meinem Zustand als dem Statement an sich geschuldet war.

Warum überhaupt immer diese Diskussionen, Gewalt löst das doch alles genauso, wenn nicht sogar schneller. Sollte einer der an der Diskussion Beteiligten dies hier lesen und sich an die Situation erinnern: nächste Woche, gleiche Zeit, gleicher Ort. Wir sind noch nicht fertig.