In Chile bebte die Erde sehr stark

HUNDERTE TOTE Ein Beben der Stärke 8,8 auf der Richterskala hat am frühen Samstagmorgen im Süden Chiles mehr als 300 Tote gefordert. Das Epizentrum lag tief im Pazifischen Ozean

■ Eine zunächst ausgegebene Tsunamiwarnung für die ganze südamerikanische Pazifikküste, Hawaii, Australien, Neuseeland und die Philippinen wurde inzwischen wieder aufgehoben. Hunderte von Zuschauern hatten um 8 Uhr Ortszeit – rund 15 Stunden nach dem Erdbeben vor Chile – am wohl bekanntesten Strand Australiens, dem Bondi Beach, Stellung bezogen, um das vermeintliche Naturspektakel zu beobachten. Einige zeigten sich enttäuscht, dass das Wasser nur etwa 17 Zentimeter anstieg. Im benachbarten Neuseeland erreichten die Wellen immerhin eine Höhe von 1,5 Metern. Hunderte von Stränden waren gesperrt. Polizei und Mitglieder des Zivilen Schutzdienstes wiesen Badende an, das Wasser zu verlassen. Auch am Bondi Beach durfte der Sandstrand nicht mehr betreten werden. Nicht wenige hätten sich geweigert, das Wasser zu verlassen, meldete am Abend ein Behördensprecher. Die erste pazifikweite Tsunamiwarnung in 40 Jahren wurde am Sonntag als Erfolg gefeiert. Im vergangenen September war dem Warnsystem in Hawaii vorgeworfen worden, Tonga, Amerikanisch-Samoa und Samoa zu spät vor einer Flutwelle gewarnt zu haben. Diese Katastrophe forderte hunderte Menschenleben. (urs)

AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT

Bei dem schweren Erdbeben in Chile sind mindestens 300 Menschen ums Leben gekommen, hunderte Menschen werden vermisst. Insgesamt sind 2 Millionen Menschen von dem Beben betroffen. Über 1,5 Millionen Häuser und Wohnungen sind zerstört oder beschädigt. „Das ist die schlimmste Tragödie der letzten 50 Jahre“, sagte Präsidentin Michelle Bachelet am Abend in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung. Das Beben war stärker als dasjenige in Haiti, das am 12. Januar eine Stärke von 7,0 erreichte.

Das Erdbeben am frühen Samstagmorgen hatte eine Stärke von 8,8 auf der Richterskala. Bachelet rief für die betroffenen Regionen Araucanía, Bío Bío und Maule den Katastrophenzustand aus. Am schlimmsten traf es die Nachbarstädte Talcahuano und Concepción, rund 500 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago. In dem Großraum leben rund eine Million Menschen. Das Epizentrum lag rund 90 Kilometer von Concepción entfernt im Meeresgrund des Pazifischen Ozeans in einer Tiefe von circa 35 Kilometern. Bisher wurden 58 Nachbeben registriert, von denen drei eine Stärke zwischen 5,2 und 6,9 auf der Richterskala erreichten.

Eine Flutwelle brachte zahlreiche Schiffe zum Kentern. Ein Schiff und unzählige Container wurden in die Hafenstadt Talcahuano geschleudert. In der Stadt Concepción vermuten die Behörden noch viele Verschüttete unter den Trümmern eingestürzter Häuser, darunter 60 Menschen in einem 14-stöckigen Hochhaus. Hier wurden bisher 22 Menschen gerettet. Die Stadtbevölkerung verbrachte aus Angst vor weiteren Nachbeben bereits die zweite Nacht im Freien. In der 60 Kilometer entfernten Stadt Chillán konnten rund 250 Gefängnisinsassen entkommen, nachdem die Mauern ihrer Haftanstalt eingestürzt waren.

Die betroffenen Regionen waren stundenlang von der Außenwelt abgeschnitten. Die Strom- und Wasserversorgung ist vielerorts noch immer unterbrochen. Auf zahlreichen Landstraßen ist die Asphaltdecke aufgerissen, mehrere Brücken sind unpassierbar oder eingestürzt. In der Hauptstadt Santiago wurde der Internationale Flughafen geschlossen, nachdem das Flughafengebäude erheblich beschädigt wurde. Mehrere Gebäude in der Hauptstadt stürzten ein, darunter auch der Glockenturm der Kirche Nuestra Señora de la Divina Providencia. Bisher wurden 30 Todesopfer beklagt.

„Das ist die schlimmste Tragödie der letzten 50 Jahre“

PRÄSIDENTIN MICHELLE BACHELET

Das Beben war auch in den argentinischen Provinzen Mendoza, San Juan und Catamarca zu spüren. Selbst in der weit entfernten argentinischen Hauptstadt Buenos Aires wankten auf Grund des Bebens einige Hochhäuser, berichten lokale Medien. In der nordwestlichen Provinz Salta bebte die Erde am Samstagnachmittag (Ortszeit) mit einer Stärke von 6,3. Das Epizentrum lag rund 20 Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt Salta. Ein Kind würde durch herabfallenden Trümmer getötet.

Unklar ist die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Schäden auf den zu Chile gehörenden Juan-Fernández-Inseln sowie den Osterinseln. Bisher wurden 5 Tote und 11 Vermisste nach einer Flutwelle gemeldet.

Aus zahlreichen Ländern sind Hilfsangebote eingegangen. „Gestern sind wir Haiti zu Hilfe geeilt, heute spüren wir die Solidarität“, bedankte sich Präsidentin Bachelet. Chiles Außenminister Mariano Fernández forderte jedoch dazu auf, zunächst die Bestandsaufnahme der Katastrophenbehörde abzuwarten: „Jede Hilfe, die ankommt, ohne wirklich gebraucht zu werden, hilft ehrlich gesagt nur wenig.“ Chile war zuletzt am 3. März 1985 von einem ähnlich schweren Beben erschüttert worden. Damals kamen 177 Menschen ums Leben, 2.500 wurden verletzt.