Unberechenbare Wähler

In Sachsen-Anhalt deutet vieles auf einen Koalitionswechsel hin. Die SPD könnte künftig den Ministerpräsidenten stellen – in einem rot-schwarzen Regierungsbündnis

DRESDEN taz ■ Die SPD in Sachsen-Anhalt ist optimistisch. Rund 400 Anhänger feierten am Sonnabend in Magdeburg den SPD-Spitzenmann Jens Bullerjahn, der nach der Landtagswahl am 26. März nicht nur „erster Offizier“, sondern „Kapitän“ in Sachsen-Anhalt werden will. Die SPD hofft, die amtierende schwarz-gelbe Koalition und Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) ablösen zu können. Sie will den Ministerpräsidenten stellen – wahrscheinlich in einer Koalition mit der CDU.

In dem Bundesland, das in 16 Jahren bislang am unberechenbarsten gewählt hat, erscheint nach einer Umfrage von Infratest Dimap Anfang Februar tatsächlich ein Regierungswechsel möglich. Die CDU erreicht demnach zur Zeit nur noch 33 Prozent. Relativ dicht folgen die SPD mit 29 und die Linkspartei mit 23 Prozent. Die mitregierenden Liberalen kämen mit 6 Prozent nur noch knapp über die Fünfprozentmarke.

Die Wählerbindung ist schwach in Sachsen-Anhalt, und zweistellige Sprünge bei Wahlergebnissen einer Partei sind keine Seltenheit. 1998 zog die rechtsextreme Deutschen Volksunion (DVU) mit fast 13 Prozent in den Landtag. Die SPD verlor 2002 fast 16 Prozent und damit die von der PDS tolerierte Minderheitsregierung. Nun aber schlägt das Pendel wieder zu ihren Gunsten aus.

SPD-Spitzenkandidat Bullerjahn aber hat ein Abgrenzungsproblem gegenüber der CDU. Einst eng vertraut mit PDS-Spitzenkandidat Wulf Gallert, ist er mittlerweile so weit von der Linkspartei abgerückt, dass nach der Wahl kaum ein anderer Koalitionspartner als die CDU übrig bleibt. „Mit einem Mann wie Wolfgang Böhmer haben wir große Schnittmengen“, sagt Jens Bullerjahn. Zugleich muss er eben diesen Ministerpräsidenten attackieren, dessen Popularität weit vor der seiner Union liegt. Das Dilemma wird verstärkt durch die Große Koalition in Berlin.

Bullerjahn ist bislang mit Strategiepapieren hervorgetreten, die eine Konzentration der Ost-Förderung auf Wachstumskerne und radikale Gebietsreformen verlangen. Die CDU hingegen lobt vorwiegend den Aufholprozess des Landes seit 2002, mit dem Sachsen-Anhalt das Schlusslichtimage bei Wirtschaft und Arbeitslosigkeit losgeworden sei.

Die FDP, derzeit nur noch bei der Hälfte ihres 13,3-Prozent-Triumphs von 2002, will die Landtagswahl zu einer Art Volksabstimmung gegen die Mehrwertsteuererhöhung machen. Die Linkspartei hat bereits ein Programm für die ersten hundert Tage erhoffter Regierungsverantwortung vorgelegt, in dem Kinder, Bildung und „Wege aus der Hartz-IV-Falle“ dominieren – doch eine Regierungsbeteiligung scheint illusorisch. Die Grünen werden von den Demoskopen nur bei 3 Prozent platziert.

Zweifel sind angebracht, ob wirklich nur 2 Prozent die DVU wählen würden, die nach Absprache mit der NPD in Sachsen-Anhalt antritt. Der Verfassungsschutz des Landes sorgt sich jedenfalls um das „Protestpotenzial, aus dem die DVU schöpfen könnte“. MICHAEL BARTSCH