Nicht mehr so viele Lügen

GROSSBRITANNIEN Die Briten sind diesmal entschlossen, die Afganistanstrategie ihrer Regierung zu akzeptieren

Viele fragen sich, ob das afghanische Karsai-Regime die Todesopfer wert ist

DUBLIN taz | Der Krieg in Afghanistan spielt für die britischen Parlamentswahlen, die wahrscheinlich im Mai stattfinden, nur eine untergeordnete Rolle. Bei Umfragen, welche Faktoren die Wahlentscheidung beeinflussen, rangieren Gesundheitssystem, Wirtschaft, Kriminalität, Umwelt und Immigration vor Afghanistan. Die vehementen Proteste, wie es sie beim Irakkrieg gab, sind deshalb ausgeblieben.

Das liegt auch an US-Präsident Barack Obama. Seine komplexen Ausführungen über Afghanistan unterscheiden sich von der moralisierenden Sichtweise seines Vorgängers George Bush und des britischen Expremiers Tony Blair. John Kampfner schrieb dazu im Guardian: „Die neue Phase des Afghanistankrieges ist frei von der kriegerischen Sprache der Neokonservativen, sondern man spricht stattdessen in Obama’scher Diktion von kultureller Integration.“ Die britische Öffentlichkeit will dieser neuen Strategie offenbar eine Chance geben, zumal die meisten gar keine Alternative sehen.

Es wurden ihnen diesmal auch nicht so viele Lügen aufgetischt wie über den Irakkrieg. Allerdings hatte der damalige Verteidigungsminister John Reid 2006 gesagt, dass man die Taliban davonjagen und die Sympathien der Afghanen gewinnen werde, ohne dass ein Schuss fallen würde. Dadurch würden die britischen Straßen sicherer und die Diskotheken frei von afghanischem Rauschgift. Nun muss der britischen Öffentlichkeit vermittelt werden, dass man zwischen guten und bösen Taliban unterscheiden müsse.

Auch Premierminister Gordon Brown hat stets argumentiert, dass es eine direkte Beziehung zwischen dem Kampf gegen die Taliban und der Gefahr terroristischer Anschläge in Großbritannien gebe. Nur die wenigsten glauben aber, dass der Einsatz in Afghanistan das Anschlagsrisiko in Großbritannien verringert – und nicht erhöht. Darüber hinaus fragen sich viele, ob das afghanische Karsai-Regime, das die britischen Soldaten ja verteidigen, die Todesopfer wert ist. Dass der Krieg gewonnen werden kann, glauben zwei Drittel der Befragten ohnehin nicht mehr.

Als im November innerhalb einer Woche sechs britische Soldaten getötet wurden, wurde die Opposition gegen den Krieg vorübergehend stärker. Inzwischen befürworten nach Umfragen 35 Prozent der Bevölkerung einen sofortigen Truppenabzug, unter den Frauen sind es sogar 40 Prozent. 38 Prozent möchten die Truppen „so bald wie möglich“ nach Hause holen. Auf die Straße geht dafür niemand.

Bei den britischen Muslimen hat die Labour-Regierung an Sympathie gewonnen. 35 Prozent wollen Labour wählen, im Landesdurchschnitt sind es nur 23 Prozent. Die Tories konnten aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan keinen Vorteil ziehen, nur 13 Prozent der Muslime wollen ihnen ihre Stimme geben. Die Tories haben die Militäreinsätze ja auch eifrig unterstützt. Brown hat dagegen mit John Denham einen auch für die muslimischen Gemeinschaften zuständigen Gemeindeminister berufen, der bei den islamischen Organisationen beliebt ist: Er war neben dem damaligen Außenminister Robin Cook der Einzige, der aus Protest gegen den Irakkrieg aus Blairs Kabinett austrat. RALF SOTSCHECK