Die Macht der Tradition

FRANKREICH Auslandseinsätze haben in Frankreich eine lange Tradition. Das Engagement in Afghanistan wird – anders als damals beim Irakkrieg – toleriert

Dass Frankreich mittlerweile fast 4.000 französische Soldaten nach Afghanistan geschickt hat, ist zu Hause kaum ein Thema. Während in den Niederlanden eine Regierung über die Afghanistanfrage zu Fall kommt, in Großbritannien der Premierminister um seinen Posten fürchten muss und in Berlin heftig über den internationalen Einsatz deutscher Truppen debattiert wird, berührt die Entsendung von Militärs ans andere Ende der Welt viele Franzosen kaum.

Staatspräsident Nicolas Sarkozy war ja unter anderem angetreten, die Beziehungen zu Washington nach der Verstimmung wegen des Irakkriegs bis zur Herzlichkeit wieder aufzuwärmen. Er hat es bisher verstanden, den verantwortungsbewussten Nato-Alliierten zu spielen, ohne die französische Öffentlichkeit deswegen mit provokativem Säbelrasseln aus ihrer relativen Gleichgültigkeit gegenüber dem Konflikt in Afghanistan zu locken.

Eigentlich haben die meisten Franzosen nicht den Eindruck, dass ihr Staat an einem „Krieg“ beteiligt ist, obschon Frankreich mit seinen modernsten Kampfjets interveniert und rund die Hälfte der bislang 3.800 Militärs als Kampftruppen – auch bei der Säuberungsaktion, die kürzlich im Süden Afghanistans stattfand – im Einsatz sind. Die andere Hälfte der Militärs besteht aus Beratern und Ausbildern. Das erlaubt es der staatlichen Propaganda, diese Intervention als pädagogische und Friedensmission mit humanitären Absichten darzustellen.

Die Medien berichten wie über eine Naturkatastrophe, wenn französische Militärangehörige in einem Hinterhalt der Taliban ums Leben kommen. Dass zwei als Geisel genommene Reporter des TV-Senders France-3 noch immer darauf warten, gegen Lösegeld freizukommen, hat die Dimension eines persönlichen Schicksalsschlags. Doch ansonsten fehlt dem nicht offiziell erklärten oder anerkannten und weit weg von der Heimat ausgetragenen Krieg in Afghanistan aus französischer Sicht fast jede Dramatik, die ein Gefühl der direkten Betroffenheit auslösen könnte.

Das bisherige Engagement wird darum laut Umfragen von einer Mehrheit gebilligt oder mit Desinteresse toleriert. Denn im Unterschied zu der Intervention im Irak, die Frankreich von Anfang an abgelehnt hat, halten die Franzosen die Mission in Afghanistan für legitim. Was zahlreiche Experten freilich nicht daran hindert, mit dem üblichen antiamerikanischen Unterton die Strategie des Oberkommandos und den unzureichenden französischen Einfluss zu kritisieren.

Anders als in Deutschland haben Außeneinsätze in Frankreich eine lange Tradition. Die Bürger kennen es, dass französische Militärs überall in der Welt stationiert oder im Rahmen internationaler Aktionen, wenn möglich mit dem Segen der UNO, an der Beilegung von Konflikten beteiligt sind. Frankreich gehört zu den Ländern, die die meisten Truppen für Friedensmissionen (Bosnien, Kosovo, Tschad, Elfenbeinküste) zur Verfügung stellen. Im kollektiven Bewusstsein sind die Kolonialkriege auch noch nicht so lange her.

Sarkozy hatte 2007 das französische Kontingent, das vor allem die Region um Kabul kontrolliert, fast verdoppelt. Trotz des Drängens der USA will er jetzt „nur“ rund 80 zusätzliche Militärberater schicken. Er weiß, dass er mit diesem minimalen Zugeständnis die innenpolitische Toleranz kaum strapazieren wird. RUDOLF BALMER