Wo Männer tun, was Männer eben müssen

Eine Unglück verwandelt die Stadt, ein Polit-Star wird geboren – es hätte viel zu erzählen gegeben über die Hamburger Wetterkatastrophe. Aber RTL zeigt mit „Die Sturmflut“ nur, wie man eine Liebesgeschichte in Action-Pathos ertränkt

von Jan Freitag

Der Süden Hamburgs liegt in Essen und die Nordsee am Rande einer alten Zeche. Es könnte ein Wink in Richtung Stadtplaner und Denkmalschützer sein, dass die Verfilmung jenes Ereignis, mit dem die Hansestadt über Nacht zu weltweiter Bekanntheit gelangte, fernab des damaligen Geschehens stattfinden musste. Seit der Orkan Vincinette im Februar 1962 ein Sechstel des Hamburger Stadtgebietes flutete und 315 Menschen in den Tod riss, haben die Pfeffersäcke den Geschäftsinteressen der Gegenwart derart viel alte Bausubstanz geopfert, dass sich nirgends in der reichen Metropole ein authentisches Plätzchen zum Drehen des Blockbusters Die Sturmflut finden ließ. Nun liegt Wilhelmsburg eben im Ruhrpott.

Für die verantwortliche Produktionsfirma teamworx ist das allerdings nur eine Fußnote des bis dato größten, teuersten, aufwändigsten Event- Movies – so sagt man heute – im deutschen Fernsehen überhaupt.

Ohne den üblichen Zwang zum runden Jubiläum läuft die bundesweit schlimmste Unwetterkatastrophe der Nachkriegszeit 44 Jahre später bei RTL und wie es sich für den privaten Marktführer gehört, wurde dabei permanent geklotzt. Satte achteinhalb Millionen Euro sind in den nachgestellten Hamburger Fluten versunken, jeder siebte davon allein für die brillanten Spezialeffekte. Obwohl es vor allem um sie geht und man jedem Wortaustausch in der beigestellten Liebesgeschichte anhört, dass sich der Spirit des Gezeigten nicht sprachlich definiert, wurde mit 70 Tagen zudem sehr lange gedreht, weitere acht Monate am Endprodukt gebastelt und von Jan Josef Liefers über Nadja Uhl bis zur unvermeidlichen Bettina Zimmermann die Crème de la Crème des hiesigen Genres gecastet. Benno Führmann darf also mal wieder im Feinripp vorm Spiegel stehen, Götz George einen alten Zausel spielen und Barbara Schöne die dufte Barfrau.

Ein lohnender Aufwand, meint Produzent Nico Hofmann. „Der Film ist in alle großen europäischen Länder verkauft“, frohlockte er nach der schicken Pressevorführung mit Elbblick. Und wenn im März seine nochmals zwei Millionen Euro teurere Verfilmung der Dresdener Bombenangriffe im ZDF läuft, sagt der Tänzer auf allen Hochzeiten, dann ist, was Kosten und Technik betrifft, „Kino-Niveau erreicht“.

Wenn man das doch auch mal von Drehbuch, Dialogregie oder Handlungslogik behaupten könnte. Von den herumfliegenden Hüten im dräuenden Sturm bis hin zu den Soleiern in der Hafenkaschemme war Regisseur Jorgo Papavassilou ungemein detailversessen – um sich in den wesentlichen Dingen detailvergessen zu zeigen.

So muss der ganz reale Musiker Gil Ofarim als Bruder der Hauptdarstellerin seine jugendliche Renitenz ein knappes Jahrzehnt, bevor so was überhaupt angedacht wurde, mit langen Haaren kennzeichnen, um eben doch Gil Ofarim, der Teeniestar, zu bleiben, der die Hochzeit seiner Filmschwester mit überaus jetztzeitigem Grungerock – vermutlich seiner neuen Platte – beschallt. Einfach toll ist hingegen, wie ein Vorschüler mit seinen Eltern gefühlte 30 Minuten im vier Grad kalten Elbwasser dümpelt und dabei allerlei herumtreibende/fliegende/stehende Lebensgefahren kontern kann.

Klasse auch, zu welchem Lauftempo die drei Hauptfiguren aufdrehen können, wenn Sie vor eine Flutwelle fliehen. Oder wie lange, tief und zielstrebig Heiner Lauterbach mit Natalia Wörner in einer gefluteten, stockdunklen Bohrinsel zu tauchen vermögen, um unter Wasser irgendwas Bedeutsames zu reparieren. Bei diesem Plot waren offenbar Landratten am Werk.

Auch wenn Produzent Hofmann das anders sieht: das leistet der Zuschauerverblödung weiter Vorschub. Die Sturmflut, erklärt er dennoch ernsthaft, sei „definitiv auch Bildungsfernsehen“. Zu was er sein Publikum bilden will, lässt er da lieber unerwähnt. Sicher nicht jedenfalls zu Menschen, die eine kritische Haltung zum Machtmissbrauch entwickeln sollen. Denn die politische Rahmenhandlung eines Innensenators, der aus achtbaren Motiven aber eben verfassungswidrig die Bundeswehr im Innern einsetzte und ohne entsprechende Kompetenzen die NATO um Hilfe rief, bleibt völlig unterbelichtet.

Nico Hofmann beteuert zwar, „Eventfernsehen funktioniert nur übers Thema“, die derzeit schwer angesagte Dreiecksgeschichte einer Frau zwischen zwei Männern sei also nur Rahmenhandlung für die Protagonistinnen Vincinette und Hamburg. Doch auf den historisch belegbaren Teil entfällt im Vergleich zum fiktiven Schmalz nur ein Bruchteil der Sendezeit.

Und dann auch noch vornehmlich, um Helmut Schmidt zu lobpreisen. Äußerst präzise hat sich das Team um den Charakter bemüht, den viele als fähigsten, integersten deutschen Politiker halten. Es ist eine wahre Freude zu sehen, wie Christian Berkel –der nette SS-Arzt aus „Der Untergang“ –mit steifer Lippe, spitzen S und Kette rauchend Paragrafen bricht wie südlich des Rathauses die Deiche.

Doch das Thema Begleitumstände scheint aus Sicht von teamworx bereits durch die Vorgängerversion ausreichend abgefrühstückt. Im vorigen Herbst lief bei Arte das Dokudrama „Die Nacht der großen Flut“ mit Ulrich Tukur in der Rolle des späteren Bundeskanzlers, obwohl Helmut Schmidt auch dort als unbescholtene Lichtgestalt mit Mut und Kraft zur Tat erstrahlt. An bundesrepublikanischen Integrationsfiguren darf eben weder das private noch das öffentlich-rechtliche Fernsehen rütteln.

Dass der Kulturkanal mit dem Szenario vor RTL auf Sendung war, lässt Nico Hofmann übrigens nicht gelten. Er habe die Idee natürlich früher gehabt, sich nur mehr Zeit gelassen.

Zumindest was Dramatik, Technik, Bombast-Trara und die privattypische Suppe aus nie versiegender Geigenmusik betrifft. So bleibt Die Sturmflut ein Film über Männer, die eben tun, was Männer tun müssen – egal ob Soldaten, Väter, Ärzte oder Politiker – und Frauen, die dazu anteilnehmend gucken. Und er ist einer über eine Katastrophe, die aus Hamburg eine andere, flutsichere, modernere, selbstbewusstere Stadt und aus Helmut Schmidt später einen Kanzlerkandidaten gemacht hat. Nur, dass man davon im Film nichts erfährt. Alles abgesoffen im Actionpathos.

„Die Sturmflut“ läuft am Sonntag 19.  und Montag 20. Februar, jeweils um 19.30 Uhr auf RTL