„Es bringt nichts, ihn nur zu imitieren“

Christian Berkel hat versucht, Helmut Schmidt eher zu kapieren als zu kopieren. Im taz-Interview erzählt der fünf Jahre vor der Hamburger Sturmflut geborene Schauspieler, was er an ihm entdeckt hat. Und warum es schwierig sein kann, eine historische Figur zu spielen, die man selbst bewundert

taz: Herr Berkel, wie wichtig sind Mimik und Gestik einer realen Figur, um sie authentisch spielen zu können?

Christian Berkel: Damit der Zuschauer das Gefühl von Stimmigkeit kriegt, spielt das eine riesige Rolle. Aber ich habe eher versucht, seine Gesten zu kapieren als zu kopieren. Es gibt so Kleinigkeiten, wie er ein Streichholz ausmacht. Zackzack. Eine Bewegung reicht. Das klingt zwar banal, aber diese Beherrschung und kontrollierte Emotionalität charakterisiert diese Figur. Dabei ist er keineswegs kühl, wie immer gesagt wird. Er lässt sich einfach nicht so mir nichts dir nichts zu etwas hinreißen. Es bringt also überhaupt nichts, ihn nur zu imitieren. Man muss begreifen, was den Menschen bewegt: was hat er gelesen, worüber hat er nachgedacht. Erst dann versteht man, warum jemand spricht wie er spricht. Helmut Schmidt versuchte stets, alle Ähs und Öhs aus der Sprache zu verbannen. Daraus ergibt sich dieser etwas abgehackte Rhythmus, weil dort, wo andere äh sagen, eine kurze Pause entsteht.

Ist das Perfektionismus?

Er war und ist ein großer Rhetoriker, der sich über Sprache viel Gedanken gemacht hat – lieber eine Pause machen, um nachzudenken. Er mag es überhaupt nicht, wenn Leute zu viel zu lange rumquatschen. Er will schnell und präzise auf den Punkt kommen, was eine enorme Konzentration erfordert. Da steckt schon ein eiserner Wille hinter. Und er ist jemand, der viele orale Dinge treibt. Die Lippenbewegungen, das Rauchen, er schnupft ständig, fast schon als Suchtelement, was ja in einem gewissen Widerspruch zu seiner perfekten Fassade steht.

Also Zwanghaftigkeit?

Genau.

Sie sind ein Mann für Figuren bei der Gratwanderung, zuletzt als netter SS-Mann in „Der Untergang“, nun als hoch geachteter Politiker, der verfassungswidrig die Bundeswehr im Innern einsetzte.

Der SS-Arzt muss von Anfang dabei gewesen sein, sonst hätte er keine Karriere gemacht in der Zeit. Bei Helmut Schmidt ist das schwieriger. Er selber hat gesagt, wenn man sich einmal nicht an Paragrafen hält und sieht, wie viel man damit bewegen kann, erkennt man, wie verführerisch das ist. Der Schritt von Machtgebrauch zu Machtmissbrauch ist klein. Es besteht ja kein Zweifel, dass er vollkommen richtig gehandelt hat. Wenn es schief gegangen wäre, hätte er diese Karriere nicht gemacht. Es wird oft gefragt, ob er das bewusst kalkuliert hat, diesen Karrieresprung. Er hat von der Pflichterfüllung her etwas sehr Preußisches und gehört zu einem Schlag, der sich zur Verfügung stellt. Heute gibt es in der Politik weder Leute, die über seine rhetorischen Fähigkeiten verfügen, noch über seinen Mut und schon gar nicht über seine Bildung.

Er war offenbar auch Ihr Kanzler…

Auf jedem Fall. Man versucht da im Fall so einer Rolle erst recht, ein Treffen zu arrangieren. Ich habe mich dazu entschieden, es nicht zu machen, weil es hätte passieren können, dass ich vor Ehrfurcht ersticke, was sich auf mich als Schauspieler ungünstig ausgewirkt hätte. Distanz muss sein.

Ist es für eine Rolle hinderlich, eine Haltung zu ihr zu besitzen?

Ich glaube, es ist unmöglich zu einer existierenden Person keine Haltung zu entwickeln. Ich werde immer eine Seite an der Figur suchen, die ich mag. Sonst würde ich eine Kritik spielen, was relativ unergiebig ist. Man muss sie an sich ranholen und da natürlich sehr viel vorsichtiger sein, wenn sie noch lebt.

RTL steht eher für Action als Hintergründe. Ist das politische Geschehen im Film ausreichend dargestellt?

Wie er sich über geltende Gesetze hinwegsetzt? Also zunächst mal finde ich, dass es darum nicht eigentlich geht. Es ist ja keine Dokumentation, sondern die Darstellung zweier Familien in den Wirren dieser Flut. Aber dort, wo das Politische erzählt wird über die Person Helmut Schmidt, wird es richtig erzählt.

Versteht das auch der Zuschauer ohne Vorkenntnisse der Hintergründe?

Ja. Und Figuren wie der reiche Hanseat Karl Abt drohen ihm ja permanent.

Karriere war ihm dennoch wichtig.

Bei jemandem, der so Karriere gemacht hat wie er, denke ich schon. Um an die Macht zu kommen, muss man sie auch wollen. Aber es ist ein Unterschied, an die Macht zu wollen, um bestimmte Inhalte und Ziele zu verfolgen, oder ob jemand einer reiner Karrierist ist. Im Politischen gibt es keine Sorgfalt mehr, es wird nur noch geguckt, wie man die nächste Legislaturperiode erreicht. Da war Helmut Schmidt anders.

INTERVIEW: jan freitag