Im Schattenreich der Schnitter

Sie arbeiten im Verborgenen. Ihre Kunst liegt im Verschwinden: Cutter sind umso besser, je weniger das Publikum ihre Arbeit bemerkt. Für eine Diskussion beim Talent Campus haben vier von ihnen den Schneideraum kurz verlassen

Was wäre eigentlich eine deutsche Bezeichnung für den Beruf des Cutters? Schneidemeister? Schnitter? Die Leute, die die Einzelteile eines Films organisieren, folgen einer Profession im Dunkeln: Was sie leisten, bleibt der Definition nach unsichtbar, denn ein Schnitt an sich ist undarstellbar. Ihre Arbeit ist also umso besser, je weniger dem Publikum klar wird, dass es sie gibt, dass ein Film aus mitunter tausenden von aneinandergeklebten Schnipseln besteht.

Kein Wunder, dass kaum einer aus der Zunft jenseits des Fachpublikums bekannt ist. Schließlich hinterlassen sie, anders als etwa Kameramänner oder Filmarchitekten, normalerweise nichts, womit man eine Ausstellung über sie füllen könnte. Sie werden oft als bloße Erfüllungsgehilfen des Regisseurs behandelt und sind doch diejenigen, die letzte Hand an den Film anlegen, jede einzelne seiner Einstellungen festlegen, ihm Form und Rhythmus geben. Deswegen wohl lautet eine andere, schönere Bezeichnung für diesen Beruf auch: „Film Editor“, der Herausgeber eines Films.

Vier solche Herausgeber durften am Sonntag auf dem Talent Campus der Berlinale doch einmal ins Rampenlicht treten und über Vorteile und Vorurteile ihres Jobs miteinander ins Gespräch kommen. Neben den Selbst- und Fremdeinschätzungen ihres Berufsstandes ging es, wie so oft, ums Filmische und das Digitale und wie beides zusammenpasst. Ergebnis: Je leichter einem die Arbeit durch die Technik gemacht wird, desto mehr ist die eigene Leistung in Gefahr. Digitale Schnittstudios erlauben zwar selbst Laien, ständig neue Veränderungen am Gefilmten vorzunehmen. Das Gefühl für das Gewaltsame des Schnitts geht aber verloren, wenn man nicht länger an physisches Filmmaterial die Schere anlegen muss, meint ausgerechnet Angie Lam, die sich mit Gewalttätigkeiten bestens auskennt – in rund 50 Kung-Fu-Filmen hat die Chinesin die hyperrasanten Actionsequenzen montiert. Manchmal, so berichtet sie, ist die Einstellung eines einzelnen Kicks dreißigmal aufgenommen worden und im fertigen Film sind lediglich zehn Bilder kurz zu sehen. Das Erste, was sie an ihrem Schnittplatz braucht, ist wirklich starker Kaffee. Allgemein beklagte die Runde jedoch den Druck, immer mehr Schnitte machen zu müssen. Dirk Grau („Rhythm Is It!“) berichtete von einem Produzenten, der, ohne die Rohfassung eines Fernseh-Beitrags gesehen zu haben, genau wusste, dass er „mindestens 1.750 Schnitte“ haben soll. Die paradoxe Idee dahinter: Je öfter sich ein Film selbst unterbricht, desto weniger denken die Leute ans Umschalten.

Die Zeit zum Nachdenken geht an digitalen Schnittplätzen auch den Cuttern verloren. Traditionell war man bei der Materialsichtung gezwungen, die passende Montage erst im Kopf zu erschaffen. Die Digitalisierung hingegen erlaubt, einfach so lange alle Versionen durchzuspielen, bis man mehr aus Zufall auf diejenige stößt, die einem gefällt. Oder genauer: die dem Produzenten gefällt. Denn seitdem die Möglichkeit besteht, Änderungen praktisch ohne Zeitverzug vorzunehmen, glaubt jeder, mitreden zu dürfen. So zumindest die Erfahrung von Jim Clark, seit mehr als 50 Jahren dabei und für seine Arbeit an „Killing Fields“ mit dem Oscar ausgezeichnet. Das Ergebnis auf der Leinwand, schätzt Clark, macht nur rund vierzig Prozent der eigentlichen Arbeit aus. Der Rest gehe drauf für zähe und diplomatische Verhandlungen mit allen möglichen Leuten, die sich die Klinke zum Schnittraum in die Hand geben. Und am Ende kehrt man doch wieder zur Urfassung zurück. Die vielen Köche und der Brei: Damit bestätigt sich das diesjährige Motto des Talent Campus, wonach Filmen wie Kochen ist.

DIETMAR KAMMERER