Temposchub

Martina Glagow läuft im Biathlonrennen über 15 Kilometer auf Platz drei hinter den Russinnen Swetlana Ischmuratowa und Olga Pylewa

„Kurz vor Schluss war ich so blau, dass ich dachte, ich würde nicht mehr ins Ziel kommen“

AUS SAN SICARIO ANDREAS MORBACH

Ein guter Aussichtspunkt war Martina Glagow gestern Mittag um kurz nach eins im Biathlon-Stadion in San Sicario am allerwichtigsten. Das ist verständlich, die blonde Frau aus Mittenwald ist immerhin nur 1,58 Meter groß. Da sucht man sich im Leben schon mal häufiger einen guten Ausguck, doch in diesem Fall huschte die 26-Jährige aus einem anderen Grund durch den Zielraum. Mächtig fix war sie im olympischen 15-Kilometer-Rennen unterwegs gewesen. Jetzt wollte sie wissen, ob das auch fix genug für ihre erste olympische Medaille war.

Also huschte Glagow ganz aufgeregt vor den größten Bildschirm in ihrer Nähe und schaute von dort dann allen nach ihr folgenden Kolleginnen auf die Ski – und auf die Zeiten. Dann war klar, dass sie hinter der neuen Olympiasiegerin Swetlana Ischmuratowa und deren russischer Landsmännin Olga Pylewa Dritte geworden war und ihr niemand mehr ihr bronzenes Edelmetallstück entreißen würde.

Nun endlich konnte die muntere Bayerin jubeln. Und einer ihrer ersten Gedanken wanderte dabei zurück nach Soldier Hollow in die Berge Utahs. Bei ihrer Olympia-Premiere vor vier Jahren war Glagow Siebte im Einzelrennen geworden. Mit dem Bayern Michael Greis, Olympiasieger über 20 Kilometer vom Samstag, ging es damals ganz ähnlich: 15. war er über 10 Kilometer geworden, 16. in der Verfolgung. Greis und die zierliche Glagow müssen sich in den USA gegenseitig reichlich Trost gespendet haben, denn nun gurrte die Polizeimeisterin dem Daumen drückenden Sportsoldaten zu: „In Salt Lake City haben Michael Greis und ich noch zugeschaut, wie die anderen die Medaillen um den Hals gehängt bekommen haben. Und jetzt“, brachte sie sich schon mal in Siegerehrung-Stimmung, „darf ich selbst nach Turin – Wahnsinn!“

Fast wahnsinnig geworden wäre sie kurz zuvor auch auf der Strecke. „Als ich zwischendurch gehört habe, dass mein Vorsprung auf die Vierte nur ein paar Sekunden beträgt, habe ich noch einmal alles gegeben“, berichtete Glagow. Ein Temposchub mit Folgen: „Kurz vor Schluss war ich so blau, dass ich gedacht habe, ich würde nicht mehr ins Ziel kommen.“ Sie kam ins Ziel, mit 20 Sekunden Vorsprung auf die nächste Russin, Albina Achatowa.

Dahinter folgte Andrea Henkel. Doch auch die 28-Jährige aus Großbreitenbach war nicht so richtig einverstanden mit ihrem Arbeitstag. „Im Training habe ich schon lange nicht mehr zwei Klöpse geschossen“, haderte sie mit sich selbst. Doch was sollten da die beiden übrigen deutschen Starterinnen sagen? Uschi Disl als 13. und Kati Wilhelm als 17. erreichten nicht annähernd ihr Niveau des bisherigen Weltcupwinters. „Ich wollte es zu genau machen“, lautete die Schnellanalyse von Disl, die inzwischen zwar Weltmeisterin in einem Einzelrennen geworden ist, mit ihren 35 Jahren aber weiterhin auf ihr erstes olympisches Einzel-Gold warten muss. „Zu nervös“ sei sie beim letzten Schießen gewesen. Übertrieben war das nicht: Drei Kugeln setzte sie daneben und leistete sich insgesamt fünf Fehlversuche.

Kati Wilhelm konnte mit ihren fünf Fahrkarten etwas besser leben. Wann sie zum letzten Mal so oft danebengezielt hätte, sollte sie sagen. Für Wilhelm kein Problem: „In Antholz“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen – schließlich ist das Ganze gerade mal drei Wochen her. Und überhaupt, was soll das? „Oooch“, meinte Wilhelm, „das passiert mir eben schon mal, dass ich schlecht schieße.“ Immerhin sei der Anfang des Rennens doch ganz ordentlich gewesen. „Mit zweimal null Fehlern habe ich doch gezeigt, dass ich ganz gut dabei bin“, zupfte sie sich nach dem „schlimmsten Rennen meiner Karriere“ tapfer die positiven Aspekte ihres Auftritts heraus. „Das wäre ein guter Sprint gewesen“, fand Kati Wilhelm.

Dummerweise war sie mit der Taktik im falschen Rennen gelandet. Im Gegensatz zu der kleinen Frau Glagow.