Die Kids sind noch allright

Diese Jugend von heute! Jeden Freitag erklären konservative Kleriker den jungen Leuten im Iran, wie verdorben sie sind. Ganz Unrecht haben die Geistlichen nicht: MTV ist immer noch angesagter als das islamistische Regime – Ahmadinedschad zum Trotz

VON KATAJUN AMIRPUR

Oft wurde die iranische Jugend in den letzten Jahren als westlich orientiert beschrieben, als demokratiefreundlich, als liberal. Daher die Frage: Wieso hat sie diesen Präsidenten gewählt? Einen Mann, der im Wahlkampf gesagt hat: „Wir haben die islamische Revolution nicht gemacht, um Demokratie einzuführen in Iran.“ Ist die iranische Jugend, sind die Unterdreißigjährigen, die immerhin siebzig Prozent der Bevölkerung ausmachen, doch nicht so liberal eingestellt, wie immer behauptet wird?

Vielleicht sollte man sich erst einmal genau ansehen, wie das Wahlergebnis überhaupt zustande kam. Im ersten Wahlgang hatten die Reformer drei Kandidaten aufgestellt – aufgrund dieser Aufsplitterung erzielte keiner die notwendigen Stimmen. So blieben in der Stichwahl nur Mahmud Ahmadinedschad und Ali Akbar Rafsandschani übrig. Ahmadinedschad hatte sich als Teheraner Bürgermeister einen Ruf als Anwalt der kleinen Leute erworben. Er hat jungen Leuten kostenlose Kredite zur Verfügung gestellt, damit sie sich die Hochzeit und den Start ins gemeinsame Leben finanzieren konnten. Das sind die existenziellen Probleme der jungen Menschen im Iran, und das hat ihm viele Sympathien verschafft.

Hinzu kommt: Für viele wird Rafsandschani assoziiert mit Korruption, Bonzentum, Staatsterrorismus im In- und Ausland. Hier konnte Ahmadinedschad gegen den zweimaligen Staatspräsidenten massiv punkten. Zudem müssen viele Menschen im Iran wählen: Studenten bekommen keinen Studienplatz ohne den entsprechenden Stempel im Ausweis, und Staatsangestellte verlieren ihren Job. Insofern ist es nicht verwunderlich, wie und dass dieses Wahlergebnis zustande gekommen ist.

Daraus auf eine überwiegende Zustimmung der iranischen Jugend für ihren radikal-islamistischen Präsidenten zu schließen, wäre falsch. Diese Generation ist nicht mehr vom Widerstand gegen die Schahdiktatur geprägt, und revolutionärer Eifer hat sie nie erfasst. Ein Beispiel: Für großes Aufsehen sorgte im Sommer 1998 die Flucht von Ahmad Rezai nach Amerika. Ahmad ist der Sohn des ehemaligen Leiters der Revolutionsgarden, Mohsen Rezai, der für seine Radikalität sehr gefürchtet war. In den Interviews, die sein Sohn der amerikanischen Presse gab, warf er den Geistlichen vor, das Land auszurauben. Dabei nannte sich Ahmad, bei dem alle streng islamistische Indoktrination scheinbar nicht geholfen hat, „die Stimme der iranischen Jugend“.

Die konservativen Kader schaffen es also nicht einmal, ihre eigenen Kinder auf die offizielle Linie, den Glauben an den vali-ye faqih, einzuschwören. Da verwundert kaum, wie wenig die Kinder „normaler“ Bürger die Dogmen des „reinen mohammedanischen Islam“, wie er angeblich in Iran praktiziert wird, verinnerlicht haben. Wenn das der reine mohammedanische Islam ist, dann leben wir lieber ohne: So reagieren Irans Jugendliche seit Jahren auf die permanenten Gängeleien der Konservativen im Namen der Religion. Kein Händchenhalten, keine Partys, kein Alkohol – in der Öffentlichkeit zumindest. Und jeden Freitag erklärt ein konservativer Kleriker des Landes der Jugend in seiner Feiertagspredigt, wie verdorben sie ist.

Ganz Unrecht haben die besorgten Kleriker nicht. Die iranische Jugend ist tatsächlich mit MTV vertrauter als mit Revolutionsliedern oder schiitischen Trauergesängen. Doch wenn sie ein bisschen Spaß haben, zu ihrer Musik tanzen will, dann geht das nur in den eigenen vier Wänden oder in denen der Freunde. Öffentlich geht nichts. Aber zu Hause steigen heiße Partys bei jeder Gelegenheit. Westliche Popmusik oder auch iranische Popmusik made in USA verkauft der Straßenhändler den Kids unter der Hand. Auch Alkohol kann man sich beschaffen, trotz des offiziellen Verbots. Noch einfacher und billiger allerdings ist es, an Drogen heranzukommen. Deshalb arten Partys schnell in Exzesse aus.

Zuzuschreiben haben sich das die Konservativen selbst. Wo es kaum Freizeitmöglichkeiten gibt und jedes Beisammensitzen auf einer Parkbank mit einer Bestrafung enden kann, steigt der Frust. Und der Wunsch kommt auf, sich in eine Traumwelt zu flüchten. Wenn sich dann in dieser trostlosen Atmosphäre endlich einmal die Gelegenheit ergibt, Spaß zu haben, dann will man gleich aufs Ganze gehen.

Aber die Jugendlichen flüchten nicht nur in eine Traumwelt, sondern am besten gleich aus dem Land. Die Emigrantenzahlen steigen; noch viel mehr würden gehen, wenn sie könnten. Denn auch die wirtschaftliche Situation ist verheerend. Nur für einen Bruchteil der Studienabgänger stehen Arbeitsplätze zur Verfügung. An den iranischen Universitäten sind mittlerweile über eine Million Studenten immatrikuliert, nur ein Bruchteil von ihnen wird jemals eine Chance haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Arbeitslosenquote liegt bei 40 Prozent.

Es hat viele Gründe, warum sich die iranischen Jugendlichen von den konservativen Geistlichen entfernt haben. Sie haben in den letzten Jahren ein ausgeprägteres politisches Bewusstsein entwickelt. Sie wissen, was die Begriffe politische Mitbestimmung, Meinungsfreiheit, Rechtssicherheit bedeuten – auch wenn sie nie in einem System leben durften, das diese Werte verwirklicht. „Meinungsfreiheit, wir wollen Meinungsfreiheit“, skandierten die Studenten im Sommer 1999 bei den größten Demonstrationen seit der Revolution. Und: „Das Land gehört dem Volk, nur dem Volk.“ Gemeint war, nicht den Klerikern, die meinen, im Namen Gottes ihre Freiheiten einschränken zu können.

Man kann nicht behaupten, dass die iranische Jugend nicht selbstbewusst wäre. Sie haben die Gewissheit, dass sie am Ende doch am längeren Hebel sitzen. „Im schlimmsten Falle warten wir eben, bis die alle ausgestorben sind“, scheinen viele zu meinen. Selbst in den theologischen Hochschulen, den Kaderschmieden der Konservativen, wird heute über Islam und Demokratie, Islam und Menschenrechte diskutiert. Und viele jüngere Mullahs sind inzwischen der Meinung, dass die Religion beschmutzt wird, wenn sie zu viel mit der Politik zu tun hat. Auch dies trägt dazu bei, dass diese Gesellschaft immer stärker für die Trennung von Religion und Politik eintritt. Obschon das Phänomen Ahmadinedschad nach außen hin diese Vermutung nicht gerade nahe legt.