BÜRGER GEGEN BÜRGER
: Klassenhass im Bus

Soll man die zwei aus dem Bus schubsen?

Ich nutze so selten den öffentlichen Nahverkehr, dass ich danach jedes Mal einen Text drüber schreibe. Berufsverkehr zum Beispiel hielt ich bis vor kurzem für ein Phänomen der 1920er, als sich die Menschen doppelt so schnell bewegten wie heute, Männer Lippenstift trugen und die Welt noch schwarzweiß war. Als Lesebühnentante geh ich los, wenn alle anderen schon wieder zu Hause sind, und nehme meistens das Fahrrad. Tickets sind teuer.

Neulich Abend aber klemmte ich zwischen Menschenleibern in einem Bus fest, als ich hinter mir die Worte hörte: „Dass ausgerechnet die, die kaum Geld haben, täglich fünf bis zehn Euro fürs Rauchen ausgeben …“ Großstädter, die ständiger Reizüberflutung ausgesetzt sind, erlernen irgendwann das Weghören, das wusste schon Georg Simmel, aber als ungeübter Fahrgast hat man keine Chance.

Die Stimme hinter den akzentfreien Worten ist weiblich, Anfang zwanzig und glasklar. Ich drehe den Kopf und sehe, was zu erwarten war: Das faltenfreie Gesicht ist mit Make-up übertüncht, die Kleidung irgendwie leger bis bürochic, an der Haltestange daneben hängt der männliche Gegenpart. Die beiden sehen aus wie von der Leyen und zu Guttenberg vor zwanzig Jahren. „Laut Statistik,“ doziert er, „geben ärmere Bevölkerungsschichten prozentual mehr Geld für Luxusartikel aus, als Leute, die es sich leisten können.“ „Und dann wundern sie sich, dass das Geld nicht reicht,“ ergänzt sie.

Soll man was sagen? Soll man sich einmischen und diese verfickten Wohlstandskinder fragen, was denn für sie, verdammt noch mal, Luxus wäre? Gehört außer Tabak auch Kaffee dazu? Und Schokolade? Ob sie schon mal darüber nachgedacht haben, dass ihre Jeans 150 Euro gekostet haben und meine nur 30? Soll man die beiden einfach aus dem Bus schubsen?

Ja, sollte man wohl, macht man aber nicht. LEA STREISAND