Man neigt zum Sparwitz

KRISE Die Krise kommt bei den Kreativen an. Das „Notbuch“ versucht mit Humor zu antworten, was nicht so recht klappt. Gut, dass eine CD von Luci van Org beiliegt. Sie spielt alte Hits von Freddy Quinn bis Karussell

Van Org spielt mit Akkordeon und Schwermut, die nie zum Pathos verkommt

VON THOMAS WINKLER

Gut, das musste ja so kommen. Dass die Krise auch bei den Kreativen ankommt. Es hat etwas gedauert, vielleicht weil die zum Großteil eh schon immer am unteren Rand des Existenzminimums entlangsegelten. Nun aber ist es unübersehbar, wenn auch verpackt in ein eher unauffälliges paketpapierbraunes Cover: Das „Notbuch“ enthält unter anderem gute Tipps, wie man die letzten paar Kröten am effektivsten einsetzt.

Im Stile altertümlicher Hausfrauen-Ratgeber wird empfohlen, das teure Koks durch fein geriebenes Glas zu ersetzen, die Großeltern als Köder für die Jagd zu verwenden oder gleich Insekten zu verspeisen: „Die hiesige Fauna schüttet ein opulentes Füllhorn an Leckereien aus Gottes Kribbel- und Krabbel-Garten über dem Kundigen aus.“

Leidlich lustig

Man sieht: Autor Michael Kernbach neigt, dem Thema durchaus angemessen, zum Sparwitz. Sein „Notbuch“ wirkt wie ein leidlich lustiger Gag, der ständig immer wieder noch einmal erzählt wird, als sei er neu. Also ungefähr das Prinzip Mario Barth, aber den wird Kernbach kaum gefährden können, auch wenn er schon einmal in dieser Liga spielte: Früher war der mittlerweile 44-Jährige einmal WG-Genosse von Guildo Horn und dann der Kopf hinter dessen Orthopädischen Strümpfen, wo er auch Bass spielte.

Später leitete er Business-Kurse, in dem er dem Popnachwuchs beibrachte, wie man am besten bei einer Plattenfirma vorspricht, schrieb für Michael Holm und den „Steuersong“ der Gerd-Show. Auch als Buchautor war er schon einmal tätig: In „Best of God – Glaubensshopping leicht gemacht“, so hieß es seitens des Verlags, suchte er „nach den Religionen mit dem größten Spaßfaktor“.

Letzterer ist leider im „Notbuch“ nicht besonders groß. Kernbachs beste Entscheidung war noch, Luci van Org als Partnerin zu engagieren. Die ehemalige Sängerin von Lucilectric hat die Bildtafeln gezeichnet, die sehr liebevoll den Stil von Dr.-Oetker-Rezeptbüchern aus den Fünfzigerjahren nachempfinden. Außerdem hat sie die beigelegte CD mit „Notaufnahmen“ eingespielt, neue Versionen alter Hits von Freddy Quinn über Udo Jürgens bis zu Karussell. Die Van Org allerdings ganz anders umsetzt, als man es erwarten sollte, wenn man weiß, dass sie zuletzt mit einer Band namens Üebermutter, für die übrigens Kernbach die Texte schrieb, radikal feministischen Metal an der Grenze zur Karikatur spielte: Nämlich zurückhaltend, akustisch, mit Akkordeon und einer guten Portion Schwermut, die aber nie zum Pathos verkommt.

Das ist wirklich schön und hätte man van Org, die sonst ja eher als Krawallschachtel reüssiert, nicht zugetraut. Dank ihr merkt man auch wieder mal, dass „Wenn ein Mensch lebt?“ ein ziemlich großartiger Song ist, wenn er nicht gerade von den Puhdys gespielt wird. Gut gelungen ist auch die Version von Hannes Waders „Heute hier, morgen dort“: Die Melancholie steht der lagerfeuerklampfenden Forschheit des Originals fast diametral entgegen, ist dem leicht resignativen Text aber sogar angemessener. Kurz gesagt: Schöne Platte, aber erstens fragt man sich bei den meisten Songs, was die denn, abgesehen von ihrer sparsamen Instrumentierung, mit Krise und Not zu tun haben sollen. Und zweitens wär das Buch dazu gar nicht nötig gewesen.

■ Michael Kernbach, Luci van Org: Notbuch mit Notaufnahmen. 160 Seiten + CD, 16,90 €. Notbuch-Premiere mit Lumpenball heute Abend im Heimathafen Neukölln. Lesung, Livemusik und die DJs Flop und B-Seite