Der Himmel voller Nazis

HANS MOSER Franzobel eröffnet in Wien das Theaterverfahren gegen Hans Moser. Er erwirkt dabei einen kollektiven Freispruch für das Wiener Kleinbürgertum

Im Himmel müssen die Kandidaten beweisen, dass sie gute Nazis hätten sein können, sonst kommen sie in die Wurscht

Dorthin, ihr lieben Kinder, lasst es euch gesagt sein, kommen alle, die zu Lebzeiten in Wien weltberühmt werden wollten: in die Himmelhölle, in das große barocke Weltkasperltheater. Unter dem Titel „Moser“ lässt es der Dichter Franzobel ausgerechnet am Theater in der Josefstadt zum Ereignis werden. Ausgerechnet, weil man bislang hier eher die Pflanzstätte des Wiener Hofratswitwengeschmacks vermutete und den einst jungen Wilden Franzobel wohl zum Bühnentürl heraus expediert hätte. Ändern sich die Zeiten oder doch nur wir uns in ihnen?

Die Himmelsstrafe besteht in einem übermannshohen Fernsehkasten (Bühne: Florian Parbs) im Design der 60er-Jahre, auf dem an verregneten Sonntagnachmittagen damals die Filme der 50er-Jahre zu sehen waren. Das Personal deckte sich bisweilen mit dem von vor 1945, nur die Produzenten waren andere. Wer nun feines Frankfurter Räsonnieren über das totalitäre Moment von Kulturindustrie auch nach dem Faschismus erwartet, ist aber im falschen Film.

Ein Krokodil namens Adolf

Hier gibt es keinen Gott und keine Theorie, der man einen Rauschebart ankleben könnte. Aber dafür gleich zwei Kasperl – den alten Hans Moser (Erwin Steinhauer) und den jungen (Florian Teichtmeister). Die Prinzessin ist sein arges Weib (Sandra Cervik), das ihn antreibt wie des Fischers Fru und Pelzmäntel trägt wie eine plötzlich zu Geld gekommene Hausmeisterin. Cervik versucht redlich in der Farce zu einer Haltung zu gelangen, die das Stereotyp der alles kontrollierenden Ehefrau auf dem Papier nicht hat. Ein alter Kollege Paul, gemeint ist Hörbiger, taucht auf (Martin Zauner) und ein „Hallo Dienstmann“-parodierender Spitzel (Alexander Pschill).

Das Krokodil hört auf den Namen Adolf. Die Wiener Freie-Szene-Legende Hubert „Hubsi“ Kramar spielt ihn mal als Krankenschwester, mal in vollem Wichs mit Rotzbremse und Brillantine-Scheitel. Mit seinen unschickelgruberischen Einsneunzig verlängert er das krampfige Gestenmaterial des „Föhrers“ in die tentakelnde Unendlichkeit. Kramars Hitlerparodie ist in der Stadt nahezu omnipräsent, im Theater, auf Kabarettbühnen oder vor Jahren in einem skandalträchtigen Happening zum Opernball. Als Harlekin und Wiener Wurstl erreicht er das, was Bruno Ganz mit hoher Schauspielkunst und Walter Moers mit dem Zeichenstift bewerkstelligen: die ungewollte Familialisierung Hitlers. So sehr man sich auch für den knarzigen Onkel Adi geniert, gehört er in der weiten kollektiven Seelenlandschaft doch irgendwie dazu. Wenn es in Wien, wie immer wieder behauptet, tatsächlich ein partielles Defizit an zeithistorischen und mentalitätsgeschichtlichen Aufarbeitungen des Nationalsozialismus gibt, ist die Hitlerparodie ein krisenfester Posten in der gesamtstädtischen Familienaufstellung.

Was hat das eigentlich mit Hans Moser zu tun? Außer dass Franzobel ihn im Wiener Himmel abermals mit der Hitlerei quält, eher wenig. Der alte Moser tritt auf und beteuert dem jungen und allen anderen gegenüber, dass er sich damals nichts hat zuschulden kommen lassen. Für den realen Moser wäre das genug, er versäumte es, mit seiner jüdischen Frau zu emigrieren, und nahm danach eine Vielzahl von vermeintlich oder tatsächlich geforderten Demütigungen und Kriechereien auf sich, um gemeinsam mit ihr durchzukommen. Auf der schiefen Ebene von Kollaboration, Feigheit und Notlage ist er am wenigsten bei der Kollaboration zu orten.

Im Stück gleichen Namens wird dieses Gefälle nivelliert, um Pirouetten drauf zu drehen. Der Himmel ist eine reality soap, in der die Kandidaten vielmehr beweisen müssen, dass sie gute Nazis hätten sein können, sonst kommen sie in die Wurscht. Peter Wittenberg versucht in seiner Inszenierung die Dinge in vorabendtauglichen Kinderprogrammbildern noch ein wenig zu entschärfen.

Bis nach Cordoba

Franzobel trägt es Moser, der sich’s in der Not gerichtet hat, nach, dass er den Wiener Kleinbürgern, die sich’s ohne Not noch mit jeder Obrigkeit gerichtet haben, im Film ein Gesicht gegeben hat. Andererseits gerät im Finale ausgerechnet die ihnen verbundene Heurigenseligkeit zum Gegengift gegen alles Germanisch-Zackige. Die Trennschärfe in deutsch-österreichischen Fragen reicht allenfalls bis Cordoba.

Will das Theater tatsächlich etwas über die Verstrickung in den Nationalsozialismus und den diskreten Charme einer Wiener Schauspieleraristokratie erfahren, dann gibt es ein Stück, das schon ein Vierteljahrhundert auf seine Wiener Aufführung wartet: „Burgtheater“ von Elfriede Jelinek. UWE MATTHEISS