Eine kurze Geschichte der Ruhrkohle

Vom Wirtschaftswunder zum Subventionsgrab zum Börsengang. Wie die RAG wurde, was sie ist

Das Wachstum: Nach der Gründung der Bundesrepublik boomt die Wirtschaft, Kohle ist Mangelware und wird dringend gebraucht. Überall im Ruhrgebiet schießen die Zechen in den Boden.

Die Wende: Mit dem steigenden Import von Öl und Gas sinkt die Nachfrage nach der vergleichsweise teuren Kohle. 1958 schließt die erste Zeche, in den folgenden zehn Jahren folgen weitere 77 Schächte. Von gut 600.000 Arbeitsplätzen geht mehr als die Hälfte verloren, die meisten Entlassenen bleiben dank der weiter wachsenden Wirtschaft nicht lange arbeitslos, sondern können schnell wieder einen Job finden.

Die Krise: Während der ersten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik 1966/67 bricht die Nachfrage ein, der Bergbau steht kurz vor dem Kollaps. Die Politik fürchtet sich vor Massenentlassungen. Die zu dieser Zeit im Bund regierende große Koalition glaubt an die Effizienz staatlicher Planungen und stellt zusammen mit den betroffenen Betrieben ein großes Rettungsprogramm zusammen.

Die Idee: Die unrentable Steinkohleindustrie soll durch Rationalisierung profitabel werden. Die größten Unternehmen der Branche, die zusammen 80 Prozent der Steinkohle fördern, schließen sich am 27. November 1968 zur Ruhrkohle AG zusammen. Subventionen sollen den Absatz ankurbeln. Der Plan geht auf: Die Steinkohleindustrie überlebt und fördert über 100 Millionen Tonnen pro Jahr – die Zeche zahlt der Steuerzahler.

Der Kohlepfennig: Der Staat möchte die Subvention für die Steinkohle nicht mehr aus dem eigenen Haushalt zahlen und führt eine Sonderabgabe ein. Ab 1974 zahlen alle Stromkunden einen Aufschlag auf den Strompreis. Im Jahr 1990 etwa werden so gut acht Prozent auf den Strompreis fällig, 5,3 Milliarden Mark kommen so zusammen. 1985 kürzt ein Kunde seine Stromrechnung von RWE und weigert sich, die Sonderabgabe zu zahlen. Der Rechtsstreit zieht sich bis vor das höchste deutsche Gericht, das den Kohlepfennig 1994 für verfassungswidrig erklärt. Seit 1996 kommt die Kohlesubvention wieder direkt aus dem Haushalt.

Der Abstieg: Von 1970 bis heute sinkt die Steinkohle-Förderung von 111 Millionen Tonnen im Jahr auf nur noch 26 Millionen Tonnen. Die Ruhrkohle AG ist dabei bis heute von Subventionen abhängig: Allein vom Bund kamen im Jahr 2004 gut 2,2 Milliarden Euro, um die Arbeitsplätze von rund 45.000 Mitarbeitern in der Steinkohleindustrie zu erhalten. Zusammen mit dem Geld vom Land betragen die Subventionen über 70.000 Euro jedes Jahr pro Arbeitsplatz.

Der Einsteiger: Nach der Bundestagswahl 2002 verlässt Werner Müller sein Amt als Wirtschaftsminister, Nachfolger wird Wolfgang Clement (SPD). Müller wechselt an die Spitze der RAG.

Der Umbau: Werner Müller stellt die RAG um und verkauft viele Beteiligungen an anderen Unternehmen, die der Konzern angesammelt hatte. Es bleiben noch vier große Bereiche: Bergbau, Immobilien, Energie, Chemie. Müller entscheidet auch, den Chemie-Konzern Degussa zu übernehmen. Seit dem Jahr 2004 hat die RAG 50,1 Prozent der Anteile an Degussa, im Zusammenhang mit einem möglichen RAG-Börsengang sollen die restlichen Anteile aufgekauft werden. Mit Steinkohle macht die RAG heute nur noch etwa 20 Prozent ihres Umsatzes.

SEBASTIAN HEISER