Hanna Nielson*, 23, Ethnologie-Studentin
: „Die Leute bewusst angelogen“

„Ich war fast zwei Jahre bei einem der großen Meinungsforschungsinstitute beschäftigt, das auch politische Einstellungen abfragt. Seitdem weiß ich, dass ich nie wieder bei einem Callcenter arbeiten werde. Anfangs dachte ich, dass das ein netter, unstressiger Nebenjob sein würde. Da lässt man die zwei Tage unbezahlte Schulung gerne über sich ergehen. Mir wurde im Vorfeld versprochen, dass ich mir die Arbeitszeit frei einteilen und kommen und gehen kann, wann ich will. Es zeigte sich dann aber schnell, dass das so nicht stimmt.

Nach den ersten drei Wochen war es mit der freien Arbeitszeiteinteilung vorbei. Dann hieß es plötzlich, dass man bis 21 Uhr bleiben muss. Und: Man musste sich zwei Wochen im Voraus in die Listen eintragen und dann auch entsprechend zu den Schichten da sein. Als ich mal eine Woche nicht arbeiten war, haben die mehrmals täglich bei mir angerufen und gefragt, wann ich endlich wieder Schichten übernehmen würde.

Was mich besonders gestört hat, war, dass ich bei den Umfragen die Teilnehmer bewusst anlügen musste. Wir sollten immer sagen, dass die Umfragen anonym ablaufen und ‚der Computer‘ die jeweiligen Telefonnummern per Zufall generiert. In Wirklichkeit hat man immer Name und Adresse des Angerufenen vor sich auf dem Bildschirm. Es ist also klar, dass das Institut die Nummern von irgendwoher bekommen haben muss.

Das Gleiche gilt für die Dauer des Interviews. Wenn es voraussichtlich 35 Minuten dauert, wirst du angewiesen, am Telefon ‚circa 20 Minuten‘ zu sagen. Das hat zur Folge, dass manche Leute nach 30 Minuten Interview einfach auflegen und man eine halbe Stunde umsonst gearbeitet hat. Vor ein paar Jahren gab es bei der Firma noch ein Grundgehalt von sechs Euro pro Stunde. Das gibt es heute nicht mehr. Kein Interview bedeutet auch kein Geld – ganz einfach.

In dem Büro telefonieren immer so um die 70 Leute gleichzeitig. Sehr anstrengend ist die ständige Überwachung. Die ‚Supervisoren‘ können sich jederzeit unbemerkt in deine Interviews reinschalten und mithören. Danach bekommt man dann einen vorgedrucktes ‚Lob‘- oder ‚Tadel‘-Blatt für das jeweilige Gespräch auf den Tisch gelegt. Den Empfang dieses Zettels muss man komischerweise auch noch mit einer Unterschrift quittieren.“

Protokoll: Johannes Radke

* Name geändert