Telefonieren wie am Fließband

In Berlin und Brandenburg gibt es 231 Callcenter. Die Branche boomt und sucht händeringend nach Mitarbeitern. Aber die Arbeitsbedingungen dort sind oft hart, berichten Angestellte. Drei Protokolle

VON RICHARD ROTHER

Die Manager, Zulieferer und Ausrüster jubeln: Die Callcenter-Branche wächst und wächst und wächst, auch in Berlin. Ausdruck des Selbstbewusstseins der Branche ist die Messe Callcenter World, die jährlich im Neuköllner Hotel Estrel stattfindet. Sie wächst ebenso wie die Branche: Kamen 1999 noch rund 900 Besucher in das Hotel und Kongresszentrum an der Sonnenallee, so sind es in diesem Jahr bereits 4.500.

Doch redet man mit den Beschäftigten, Callcenter Agents genannt, wird schnell klar: Es ist vor allem knallharte Arbeit, die Gewinne und Wachstum generiert. Telefonieren wie am Fließband, oft unter Erfolgsdruck – das heißt oft, den Angerufenen irgendetwas aufzuschwatzen. Pausenzeiten sind mehr oder weniger streng geregelt; wer aufmuckt, bleibt nicht lange, und Wahlen von Betriebsräten werden schon mal behindert. Dabei sind die Verdienste in der Regel alles andere als üppig.

All dies führt offenbar dazu, dass die Branche insgesamt „trotz einer hohen Arbeitslosigkeit händeringend Mitarbeiter sucht“, wie Manfred Stockmann, Präsident des Callcenter Forums Deutschland, einräumt. Die Bezahlung stehe dabei gar nicht einmal im Vordergrund, so Stockmann. Die Spanne reiche bundesweit von 5,50 Euro pro Stunde bis zu 50 Euro für Spezialisten wie Ärzten oder Anwälten; Bundesdurchschnitt seien 14,50 Euro pro Stunde.

Problematisch für viele Interessenten ist nach Stockmanns Einschätzung hingegen die Arbeitsdichte. Im Callcenter werde wie an einer Produktionsmaschine getaktet, viele Menschen befürworteten aber eher die Arbeitsweise eines klassischen Sachbearbeiters. „Der kann zwischendurch mal abtauchen oder das Telefon ignorieren.“ In einem Callcenter ist das nicht möglich.

Eine Folge davon ist die hohe Teilzeitquote bei den Firmen – acht oder mehr Stunden am Stück kann kaum jemand telefonieren. Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter arbeiten in Teilzeit, Tendenz: weiter steigend. Die meisten Callcenter Agents sind Frauen; beim klassischen Anruf-entgegennehmen-Dienst sind drei von vier Beschäftigten Frauen, beim Kunden-Anrufen-Dienst sogar mehr als 80 Prozent. In diesem Jahr wird der Job sogar ein Ausbildungsberuf: Ab August können Jugendliche in einer dreijährigen Lehrzeit Kaufmann/Kauffrau für Dialogmarketing werden, ein Jahr weniger ist es zur Servicefachkraft für Dialogmarketing.

Über 20.000 Beschäftigte

In Berlin und Brandenburg gibt es derzeit 231 Callcenter mit mehr als 20.000 Beschäftigten. Nach einer aktuellen Branchenumfrage sind die Unternehmen überaus zufrieden mit ihrem Standort: 97 Prozent würden sich wieder in der Hauptstadtregion ansiedeln, so Roland Engels von der Berlin Partner GmbH. Die Mitarbeiterfluktuation betrage lediglich knapp 9 Prozent. Mehr als die Hälfte der Unternehmen habe die Standortfaktoren als gut oder sehr gut bewertet.

Was den Unternehmen am besten gefällt: die gute Verkehrsinfrastruktur, die Nähe zu den Hochschulen, das gute Image des Standortes, die Nähe zu Auftraggebern, die relativ günstigen Büromieten und – das geringe Gehaltsniveau. 10 bis 20 Prozent lägen die regionalen Gehälter unter dem Bundesdurchschnitt, so Engels. Ein Grund hierfür seien auch die relativ geringeren Lebenshaltungskosten in der Region.

Von Vorteil für die Unternehmen ist auch die kulturelle Vielfalt Berlins. „Unsere Agenten kommunizieren in 17 Sprechen, von Schwyzerdütsch über Türkisch und Flämisch bis hin zu den skandinavischen und osteuropäischen Sprachen“, sagt Telegab-Geschäftsführer Volker Gabriel. „Das können wir nur, weil Berlin ein multikultureller Standort ist.“ Keine andere Stadt in Deutschland bilde so viele Sprachen und Mentalitäten ab.