„Wir wollen keine Erbhöfe“

Christoph Terhechte, Leiter des Internationalen Forums des jungen Films, über asiatisches Kino – und die Gründe, warum in seiner Sektion dieses Jahr nur ein chinesischer Film läuft: „Before Born“ von Filmprofessor Zhang Ming

taz: Seit vielen Jahren konnte man in jedem Winter für wenig Geld nach China reisen, indem man sich einfach die vielen chinesischen Filme im Forum ansah. Warum gibt es dieses Jahr nur einen einzigen?

Christoph Terhechte: Es kann bei einem Programm, das aus nur 40 Filmen besteht, keine Erbhöfe geben. Das Programm muss flexibel sein. Wir hatten 2002 ein riesiges Programm mit mehr als zehn chinesischen Filmen – als Reaktion auf „Xiao Wu“, den ersten Film von Jia Zhang-ke, den wir im Vorjahr gezeigt hatten. Bei dessen Sichtung wussten wir sofort, dass da gerade etwas Ungeheuerliches in China passiert. In diesem Jahr war ich enttäuscht in Peking. Der einzige Film, der aus allem herausragte und den ich sofort einlud, war „Before Born“ von Zhang Ming.

Wie ging es dann weiter?

Zurück in Berlin entdeckten wir Filme aus Malaysia, einem Filmland, das noch nie im Forum vertreten war, und zwei Filme aus dem Iran – und es ist Jahre her, dass wir Filme aus dem Iran gezeigt haben. Das passierte ganz unerwartet, und ich finde das auch gut so. Wir wollen keine Plätze für Filme aus bestimmten Nationen freihalten.

Wie gehen Sie überhaupt bei der Suche in China vor – auch im Vergleich mit Filmländern wie Korea, wo es kleine, experimentelle Filme viel leichter haben?

Koreanische Filme hatten im Herbst im eigenen Land einen Marktanteil von 78 Prozent. Eine Traumrate, von der auch das kleine Kino profitiert. Außerdem haben die koreanischen Geldgeber anders als die deutschen verstanden, dass man Nachwuchs braucht und deshalb auch die jungen Wilden fördern muss. Es gibt also eine gute Infrastruktur, auf die wir uns verlassen können. Diese Infrastruktur gibt es in China nicht – die Filmemacher sind auf sich gestellt. Deshalb brauchen wir Kontakte vor Ort, die sich auskennen. Man trifft Filmemacher, geht in die Filmstudios oder in privat gebuchte Filmvorführungen. Das ist alles sehr viel erratischer.

Wie kam es zur Entscheidung für „Before Born“ von Zhang Ming – ein ästhetisch höchst ambitionierter Film, der sich aber nicht für die sozialen Probleme Chinas interessiert?

Ich finde diesen Film sehr vielschichtig, verrätselt, geheimnisvoll. Zhang Ming ist ein Einzelgänger, der nur sehr wenige Filme gemacht hat und ansonsten als Professor an der Filmakademie arbeitet.

In der Zusammenwirkung mit dem kommerziellen Kostümfilm „The Promise“ von Chen Kaige im Wettbewerb und dem Rührstück „Little Red Flowers“ von Zhang Yuan, der im Panorama läuft, könnte man den Eindruck gewinnen, das chinesische Kino sei plötzlich überhaupt nicht mehr interessiert an chinesischen Wirklichkeiten.

Das Programm wird die Fans des spektakulären asiatischen Kinos sicher trotzdem begeistern. Es stimmt aber: Es ist in diesem Jahr niemand von der ganz jungen Generation dabei.

Es ist vor allem kein harter, realistischer Film dabei, wie „Walking on the Wild Side“ von Han Jie zum Beispiel, der gerade den Tiger Award auf dem Filmfestival in Rotterdam gewonnen hat.

Wenn ich wie in Rotterdam 280 Filme programmieren könnte, hätte ich auch mehr chinesische Filme gezeigt. In diesem Fall war es außerdem so, dass Rotterdam für „Walking On The Wild Side“ Geld gegeben hat und dass er darum zuerst in Rotterdam laufen musste. Wir haben uns bewusst auf 40 Filme beschränkt. Es ist uns sehr wichtig, eine familiäre Atmosphäre zu pflegen, mit allen Regisseuren kommunizieren zu können. Außerdem kaufen wir Kopien an, machen deutsche Untertitel und bringen die Filme ins Kino. Immer mehr Filme werden fast nur noch auf Festivals gezeigt und kommen dann nicht mehr in die Kinos und nicht mehr ins Fernsehen. Das wollen wir anders halten.

In Rotterdam lief außerdem ein Film der chinesischen Regisseurin Li Yu, deren Debüt im Forum zu sehen war. Wie fühlt es sich an, immer wieder Regisseure zu entdecken und sie dann ans Panorama, den Wettbewerb oder gar andere Festivals zu verlieren?

Wenn ich im Wettbewerb Filme von Regisseuren finde, deren erste Filme wir gezeigt haben, freue ich mich sehr. In diesem Jahr sind es vier. Das ist wie eine Belohnung. INTERVIEW: SUSANNE MESSMER