al forno: Das Erbe von Edoardo
FRANK KETTERER über winterliche Fehler-in-allen-Teilen-Spiele, an denen die Stiftung Warentest ihre helle Freude hätte
In Kindertagen waren die Dinge ziemlich einfach geregelt, vor allem beim Autoquartettspielen. Mit ein paar Mercedesen auf der Hand hatte man schon so gut wie gewonnen, auch nicht schlecht stand es um einen, wenn man ein paar BMW-Karten gezogen hatte. Bei VW und Opel sanken die Siegchancen hingegen unweigerlich – und garantiert vorzeitig als Verlierer stand fest, wer mehr als zwei Fiats zugespielt bekam. So stand Fiat bald für „Fehler in allen Teilen“ – und man begann die Automarke ganz langsam zu hassen.
Das Gefühl aus der Kindheit kommt langsam zurück, mit jeder Busfahrt ins Gebirge ein wenig mehr. Man fährt hier viel Bus, eigentlich unaufhörlich. Fünf bis sechs Stunden am Tag mindestens. Denn: Die Olympischen Winterspiele heißen zwar Olympische Winterspiele von Turin, aber nur in der grauen Stadt am Po finden sie deshalb keineswegs statt. Vielmehr könnte man sagen, dass es hier zwei Olympische Spiele gibt, die von Turin und die von Sestriere, jenem durch und durch versnobten Skiort rund 100 Kilometer von Turin entfernt, der das Zentrum der Skiwettbewerbe in den Bergen darstellt. Just an dieser Stelle kommt wieder Fiat ins Spiel, weil der Menschheit Sestriere bis heute erspart geblieben wäre, hätte Giovanni Agnelli (genannt: Il Senatore), der Fiat-Gründer, in den 30er-Jahren nicht ein Bergdomizil aus dem Boden gestampft, damit sein bestimmt schnöseliger Sohn Edoardo schneller und bequemer zum Skifahren kam.
Damit nicht genug, ein weiterer Angehöriger des Fiat-Clans war es auch, der die Spiele hierher (ins Piemont) geholt hat, Gianni Agnelli nämlich, der vor drei Jahren gestorbene Fiat-Patriarch und Sohn Edoardos, soll damals seinen ganzen nationalen und internationalen Einfluss für Turin und Sestriere geltend gemacht haben. Das dürfte damals gar nicht so schwer gewesen sein für den mächtigen Paten, schon weil der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees zu jener Zeit Juan Antonio Samaranch hieß und das Prinzip der Bestechung und Käuflichkeit somit noch mehr oder weniger die Geschäftsgrundlage des Ringeklubs darstellte. Wenn man jetzt also täglich mehrere Stunden im Bus sitzen muss, um einem Biathlonrennen beiwohnen zu können oder einem Slalomlauf, dann trägt zweifelsohne Fiat daran Schuld, weshalb man beschlossen hat, diese Spiele Fiat-Spiele zu nennen, was bitte wörtlich zu nehmen ist, nämlich so: die Fehler-in-allen-Teilen-Spiele.
Reibungslos gehen die Dinge hier jedenfalls nicht ab, in allen Bereichen nicht. Die Zuschauer zum Beispiel leiden unter den langen Fahrten in überfüllten Bussen sowie unter den ortsunkundigen Ordnern. Hinzu kommt, dass die Sicherheitskontrollen am Eingang der Events derart schlecht organisiert sind, dass sich selbst bei mittelmäßigem Andrang schnell eine Stunde Wartezeit anhäuft. Was auf den engen Passstraßen zudem passiert, wenn ein Wettbewerb endet und ein anderer zeitgleich und ortsnah beginnt, war erstmals am Samstag zu sehen: kilometer lange Staus nämlich. Was hier erst los ist, wenn es auch noch zu schneien beginnt, wird man wohl erst ab Donnerstag erleben.
Doch, weitaus schlimmer, auch die Athleten haben bisweilen mit den äußeren Umständen zu kämpfen, am meisten betroffen sind bislang die Rodler. Die Anlage in Cesana Pariol gleicht nach wie vor einer Großbaustelle, entsprechend stark wird immer wieder Sandstaub auf die Bahn geweht. „Nach zwei Trainingsläufen waren meine Kufen völlig zerstört“, hat nicht nur Georg Hackl geklagt, zumal sich ganz offensichtlich niemand für die Säuberung der Eisrinne zuständig fühlte. Die Bobbahn jedenfalls wurde erst gereinigt, als der internationale Bob- und Skeletonverband drohte: „Bob können wir hier nicht fahren.“ Von der zweifelsohne nicht vorhandenen Sicherheit für die Zuschauer soll bei all den Baulöchern und unbefestigten Wegen erst gar nicht die Rede sein, wer weiß, wie viele Olympiatouristen schon in ihnen auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind. Auf jeden Fall steht fest: Die Veranstalter können heilfroh sein, dass es in Italien keine Stiftung Warentest gibt, die auch olympische Anlagen testet.
Die Aktiven nehmen all das zum Teil mit Humor. „Es ist schön, wie man sich das ausgedacht hat“, hat der Hacklschorsch trotz allem gesagt, flankiert freilich von dem Satz: „Es ist halt alles hinten und vorne nicht fertig geworden.“ Und besonders gut sehen konnte man das am Tag vor der Eröffnung, als in Sestriere und den anderen Bergdörfern erst noch die Gasleitung installiert werden musste, damit auch dort oben das olympische Feuer lodern kann.
Wegen Dingen wie diesen hat wohl Biathlon-Bundestrainer Uwe Müßiggang bereits festgestellt, es seien „drum herum die schlechtesten Bedingungen, seit ich bei Olympia mit dabei bin“. Weshalb NOK-Boss Klaus Steinbach den deutschen Olympiatross gleich zu Beginn darauf eingeschworen hat, sich mit den vorhandenen Gegebenheiten einfach abzufinden. „Wir müssen die Athleten darauf einstellen, dass es Probleme gibt, die wir nicht lösen können“, hat der NOK-Boss gesagt. Walter Vogel wiederum, der Chef der deutsche Alpinen, hat die ganzen Spiele kurzum zu einer „guten Lebensschule für unsere Athleten“ erklärt. Denn: „Da wissen sie, wie es aussieht, wen sie später mal ein Haus bauen.“
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