Bsirske fühlt sich wohl

Auf einer Streikkundgebung in Göttingen wird der umstrittene ver.di-Chef von den Massen umjubelt wie ein Popstar. Das freut ihn. Schließlich kämpft Frank Bsirske hier auch um den eigenen Job

von Reimar Paul

Die Brötchen waren schon nach einer Viertelstunde alle. „1.000 hatten wir bestellt, das war offenbar viel zu wenig“, sagt der Göttinger ver.di-Sekretär Jörg Ahlborn und weiß nicht so recht, ob er sich über die vielen Teilnehmer freuen, oder über die Fehlplanung ärgern soll. Fürs Mittagessen gelobt er jedenfalls Besserung. Die Zahl der georderten Eintöpfe werde um das Doppelte aufgestockt, verspricht er.

Fast 2.000 Frauen und Männer, allesamt Streikende aus Südniedersachsen, haben sich am Mittwochmorgen in der Göttinger Stadthalle versammelt. Sie sind in Bussen aus dem Harz und aus Northeim angereist oder zu Fuß vom Rathaus, von der Universität oder vom Betriebshof der Müllabfuhr gekommen. Die meisten locker in kleinen Gruppen, manche haben aber auch richtige Demonstrationszüge gebildet.

Leute in den grünen oder rot-weißen ver.di-Streikleibchen stehen in Pulks zusammen, schwenken Fahnen und blasen kräftig in ihre Trillerpfeifen. Beschäftigte der Göttinger Uni-Klinik sind in weiße Anzüge geschlüpft, „Billig ist krank“ steht auf kleinen Pappschildern auf ihrem Rücken. Andere rauchen, klönen trinken Kaffee. Und alle warten aufFrank Bsirske.

Der ver.di-Chef wird empfangen wie ein Popstar, muss sich durch die Meute der Fotografen kämpfen und hat, obwohl sicht- und hörbar erkältet, „ein saugutes Gefühl“. Tausende Streikende alleine in Niedersachsen und Protestversammlungen wie diese, das sei „genau die richtige Antwort auf den Konfrontationskurs“ der kommunalen Arbeitgeber und Bundesländer. Die Streikbewegung, fordert Bsirske und seine Zuhörer stampfen dabei vor Begeisterung mit den Füßen, müsse nun von den Zentren des Landes bis in jeden Kreis übergreifen.

Dass die Streiks massiv ausgeweitet werden, hatte ver.di Sprecher Ulf Birch bereits am frühen Morgen in Hannover verkündet. Erstmals beteiligten sich gestern Beschäftigte der niedersächsischen Hochschulen am Arbeitskampf, außer in der Landeshauptstadt und in Göttingen auch in Hildesheim, Oldenburg und Osnabrück. Die Zahl der in Niedersachsen bestreikten Krankenhäuser soll nach ver.di-Angaben gestern noch einmal verdreifacht worden sein, nachdem am Dienstag bereits die Beschäftigten von 12 Kliniken die Arbeit ruhen ließen. In Schleswig-Holstein schlossen sich ebenfalls Arbeiter und Angestellte an, bundesweit wurde damit in neun Ländern gestreikt.

Sonst eher ein Freund feinsinniger Argumente und leiser Worte, hämmert Bsirske auf die Arbeitgeber ein – und insbesondere auf seinen Lieblingsfeind Hartmut Möllring, den niedersächsischen Finanzminister. Der fabuliere von sicheren Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, wo doch viele Beschäftigte schon jetzt nur noch befristete Arbeitsverträge hätten. Uni-Kliniken würden fast nur noch befristet einstellen, Auszubildende kaum übernommen, „und wenn doch, dann mit 19,5 Stunden Teilzeit“.

Frenetisch beklatscht, seziert Bsirske die Behauptung, wonach es bei der Arbeitszeitverlängerung lediglich um läppische 18 Minuten mehr am Tag gehe. 18 Minuten entsprächen 1,5 Stunden Mehrarbeit pro Woche – und damit zwei Wochen im Jahr. 5.000 Arbeitsplätze fielen so allein in Niedersachsens Kommunen weg. Bundesweit könne die Arbeitszeitverlängerung sogar 250.000 Arbeitsplätze kosten. Die Chance für Arbeitslose auf eine neue Stelle sinke damit immer weiter.

Sollten die Arbeitgeber jetzt mit ihrer Arbeitszeitverlängerung durchkommen, werde den Beschäftigten als nächstes das Weihnachts- und Urlaubsgeld komplett gestrichen, prognostiziert Bsirske. Und er äußert „Zweifel, ob Entscheidungsträger in diesem Land eine Vorstellung davon haben, mit wie wenig Geld viele Menschen über die Runden kommen müssen“.

ver.di hat in den vergangenen Wochen etwa 10.000 Mitglieder hinzu gewonnen, verkündet Bsirske stolz. Ob das reicht, um seinen eigenen Job zu garantieren, ist ungewiss. Bsirskes Zukunft an der Gewerkschaftsspitze dürfte vom Ausgang des jetzigen Streiks abhängen. Der nächste ver.di-Kongress befindet darüber im kommenden Jahr.